Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
etwas in seiner Seele, aber er konnte es nicht in Worte fassen oder vielleicht war es ihm auch nur peinlich. Obgleich es im eben gehörten Gedicht geheißen hatte: „Allein ist man ein Nichts“, was bedeutete, dass auch Dobrynin selbst allein ein Nichts war, und obwohl das natürlich nicht sehr angenehm und rein rechnerisch nicht sehr logisch war, stimmte der Volkskontrolleur dem unbekannten Dichter bereitwillig zu. Er dachte nun auch, dass in Chulajba, wenn dort nur Soldaten leben würden, nichts Böses und Verbrecherisches vorgefallen wäre. Ja, und überhaupt, spann er seinen Gedanken weiter, man müsste diese Völker des Nordens zuerst einmal in die Armee aufnehmen, damit sie nach einer Ordnung zu leben lernten, und dann auch gleich in die Partei, und dann würde sicher die Zeit kommen, in der die Volkskontrolleure nichts mehr zu tun haben würden und nicht im Kampf gegen die Feinde sterben müssten, um dann für immer im Eis eingeschlossen zu sein.
Der Pilot, der Dobrynins gedankliches Gespräch nicht gehört hatte, setzte wieder seinen Helm auf und sah nach vorn in Flugrichtung.
Dobrynin verstand natürlich, dass man einen Piloten nicht so lange ablenken durfte, und er ging zurück und setzte sich an seinen Platz, hob das Büchlein vom Boden auf, suchte die Stelle, an der der Meteoritenschauer ihn unterbrochen hatte, und las die Erzählung fertig.
Das Flugzeug begann zu sinken. Die Erde kam näher, übersät von den Spuren menschlicher Tätigkeit. Dobrynin verschlang mit seinen Augen die russischen Wälder und Felder. Es wurde ihm warm ums Herz – unten war nichts zu sehen, was ihn an den Norden hätte erinnern können – weder Schnee, noch Eis, auch keine zugefrorenen Flüsse. Hier war alles anders, alles war menschlicher und vertrauter.
Zwischen den Dörfern, über die gelben Bänder der Straßen, bewegten sich langsam Menschen, klein wie Pünktchen. Kaum sichtbare hölzerne Masten, durch deren Leitungen elektrischer Strom in die Häuser und Fabriken floss, warfen kurze Schatten. Irgendwo zogen zwei Pferde ohne Eile ein Fuhrwerk. Und da – ein kleines Dorf, ein ganz normales russisches Dorf mit ungefähr fünfundvierzig Häusern, das nach jakutischen Maßstäben das dortige Moskau genannt worden wäre!
Das Lied des Propellers klang nun anders – es wurde ein wenig leiser, so als würde sich die Drehzahl verringern. Die Erde kam schnell und unaufhaltsam näher. Das Flugzeug visierte die Landebahn an, dahinter erhoben sich die Konturen des weißen, steinernen Herzens des Vaterlands und durchbrachen die diffuse Linie des Horizonts.
Endlich berührten die Räder des Flugzeugs die Erde und die Kampfmaschine rollte holpernd und ratternd über die Landebahn.
Dobrynin drückte sich wieder ans Fenster und stellte gleichzeitig den Fuß auf seinen Sack, damit dieser nicht von ihm fortwandern konnte.
Hinter dem Fensterglas war es sonnig und hell. Zu beiden Seiten der Landebahn wuchs dichtes grünes Gras und Löwenzahn war darin hineingestreut wie die Sterne am Himmel. Etwas weiter hinten standen streng aussehende, niedrige Ziegelbauten mit Antennen auf den Dächern.
Als das Flugzeug anhielt, erstarrte die Landschaft, während sie der Volkskontrolleur betrachtete – sie wurde zu einem Stillleben, das eine Augenweide war.
„Wir sind angekommen!“, vernahm Pawel Aleksandrowitsch die muntere Stimme des Piloten.
Beim Klang der Stimme erinnerte sich Dobrynin an den Satz „Allein ist man ein Nichts“. Er erhob sich von seinem Platz, nahm seinen Reisesack, ging zur Ausstiegsluke, die der Pilot schon geöffnet hatte, und sprang hinunter. Auf der Erde angekommen, hockte er sich zuallererst ins Gras. Vom langen Aufenthalt in der Luft drehte sich alles in ihm. Zu diesem Gefühl kam noch der Geruch des Grases hinzu, und Dobrynin fühlte sich ganz unwohl und gar nicht sicher auf den Beinen.
In seinen Ohren rauschte es, obgleich es um ihn herum still war, aber die Stille verdrängte allmählich den vergangenen Lärm aus der Erinnerung der Ohren. Dobrynin beruhigte sich und wurde sogar ein wenig fröhlich, was natürlich damit zu tun hatte, dass er gemeinsam mit dem Piloten alle Gefahren des Fluges hinter sich gebracht hatte und nun ohne besondere Schwierigkeiten in Moskau angekommen war.
Plötzlich durchbrach ein Geräusch die Stille, die inzwischen endgültig in Dobrynins Ohren eingekehrt war, und als der Volkskontrolleur seinen Kopf hob, erblickte er neben einem der schmucklosen Ziegelgebäude ein schwarzes
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