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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Automobil und einen Mann, der ihm beharrlich zuwinkte. Der Volkskontrolleur stand unwillig auf und ging auf den Wagen zu.
    Dort angekommen betrachtete Pawel Aleksandrowitsch das Gesicht des Mannes, der ihm zugewunken hatte, und dieses Gesicht kam Dobrynin sehr bekannt vor. Für alle Fälle winkte er zurück und lächelte aufrichtig, und als er ganz dicht herangetreten war, schüttelte er dem Mann auch die Hand.
    „Herzlich willkommen, Pawel Aleksandrowitsch!“, sagte der Mann einigermaßen erfreut. „Sie haben sich überhaupt nicht verändert! Obwohl doch so viel Zeit vergangen ist!“
    Wie viel Zeit?!, dachte Dobrynin, und da tauchte in seiner Erinnerung ein Bild aus der nicht allzu weit zurückliegenden Vergangenheit auf: seine Ankunft auf dem Moskauer Bahnhof, das Treffen mit den Korrespondenten und – ja, richtig – dieser Mann, der ihn dort abgeholt und mit dem Auto in die Dienstwohnung gebracht hatte. Aber wie hieß er nur?!
    „Also, steigen Sie ein, steigen Sie ein, wir müssen los!“, sagte der Mann und hielt dann für einen Augenblick inne, da er den nachdenklichen Ausdruck im Gesicht des Volkskontrolleurs offenbar bemerkt hatte. Sodann setzte er noch munterer fort:
    „Aber Sie werden sich doch an mich erinnern, ich bin’s, Viktor Stepanowitsch!“
    „Ja, natürlich …“, nickte Dobrynin.
    Sie nahmen im Wagen Platz. Viktor Stepanowitsch warf dem Fahrer einen Blick zu, woraufhin dieser den Motor startete.
    „Und der Pilot … und das Flugzeug …?“, fragte Dobrynin besorgt.
    „Keine Angst, wir wissen über alles Bescheid. Es hat alles seine Ordnung!“, antwortete darauf Viktor Stepanowitsch. „Warum ist eigentlich ihr Reisesack so vollgestopft? Sind Andenken aus dem Norden darin?!“
    Die Frage verärgerte Dobrynin, aber er beschloss, seinen Ärger nicht zu zeigen – schließlich konnte dieser Mann nicht wissen, was dem Volkskontrolleur alles widerfahren war.
    Sie fuhren auf die Straße hinaus. Auf der einen Seite des Automobils sauste eine schnurgerade Reihe von Pappeln mit spitzen Kronen vorbei, auf der anderen Seite Ahornbäume. Die Sonne blendete die Augen der Fahrenden, sobald ihre Strahlen zwischen den Bäumen durchschienen.
    „Erinnern Sie sich an meine Krawatte?“, fragte Viktor Stepanowitsch plötzlich.
    Dobrynin nickte. Natürlich erinnerte er sich daran.
    „Was sich da für Schwierigkeiten für mich ergeben haben!“, beklagte sich Viktor Stepanowitsch. „Kaum zu glauben!“
    „Warum?“, fragte Pawel Aleksandrowitsch zurückhaltend.
    „Wie sich herausstellte, war sie wirklich gestohlen.“ Viktor Stepanowitsch seufzte tief. „Ich hätte fast alles verloren. Gut, dass das Politbüro ein gutes Wort für mich eingelegt hat. Na, und dieser Petrenko! Es ist wirklich erstaunlich, wie Menschen sich verändern können: 1905 hat er die Revolution mitorganisiert, und im dreiunddreißiger Jahr hat er dem Vizevorsitzenden des Rates der Volkskommissare die Krawatte gestohlen!“
    „Ist er bestraft worden?“, fragte Dobrynin.
    „Man hat ihn erschossen.“
    Der Wagen raste durch einen Vorort von Moskau und erreichte eine breite Straße, an deren beiden Seiten Fabriksgebäude und Werkanlagen aufragten, die mit Bildern und Transparenten geschmückt waren.
    Viktor Stepanowitsch schwieg. Dobrynin ebenfalls.
    Plötzlich legte sich ein Schatten über das Auto und die ersten Regentropfen fielen auf die Windschutzscheibe. Der Fahrer verringerte die Geschwindigkeit. Es wurde dunkler und trüber.
    „Es regnet schon den dritten Tag!“, klagte Viktor Stepanowitsch.
    Die Scheibenwischer sausten hin und her und wischten die Tropfen von der Scheibe.
    „Ich verstehe überhaupt nicht, warum in Mytischtschi die Sonne scheint, während es in der Hauptstadt regnet!“, meinte Viktor Stepanowitsch.
    Dobrynin antwortete nicht. Er sah aus dem Fenster und betrachtete die großen grauen und schwarzen Häuser und die wenigen Fußgänger, die unter Schirmen ihrer Wege gingen. Und plötzlich blieb sein Blick an etwas hängen und er fuhr zusammen.
    „Stehen bleiben!“, bat er stockend, ohne selbst den Grund dafür zu begreifen.
    Der Fahrer trat auf die Bremse und das Auto kam auf der rutschigen Straße ein wenig ins Schleudern.
    „Was ist los, geht es Ihnen nicht gut?“, sorgte sich Viktor Stepanowitsch.
    „Doch“, schüttelte Dobrynin den Kopf. „Ich möchte da hinein …“
    Viktor Stepanowitsch folgte dem Blick des Volkskontrolleurs und sah die weit geöffneten Türen des zentralen Feinkostladens.

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