Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
zweiten Stock zur Wohnung Nummer drei, wobei er sich für das Schlafen im Dienst entschuldigte. Er sperrte die Tür auf, reichte Dobrynin den Schlüssel und ging über die Stiege wieder nach unten.
„Na, dann ruhen Sie sich aus“, sagte Viktor Stepanowitsch vor der Tür. „Marija Ignatjewna ist heute offenbar nicht da, also bestellen Sie sich telefonisch ein Abendessen. Morgen Früh hole ich Sie dann ab! Gute Nacht!“
„Auf Wiedersehen“, entgegnete Dobrynin trocken.
Er schloss die Tür hinter sich ab und ging, ohne die Schuhe auszuziehen, mit seinem Reisesack in der Hand in sein Arbeitszimmer. Dort schaltete er die Tischlampe ein und setzte sich in den Sessel.
Einerseits war ihm ein wenig traurig und einsam zumute, weil seine dienstliche Ehefrau Marija Ignatjewna nicht da war, andererseits beruhigte ihn dieser Umstand, da er sich nun in Ruhe mit seiner Lage auseinandersetzen konnte. Dobrynin machte sich daher daran, den Inhalt seines Reisesacks zu überprüfen. Er legte alles auf den Tisch, betrachtete noch einmal Kriwizkijs Porträt, warf einen Blick in die gelbe Aktentasche, holte aber die Unterlagen nicht heraus, da er fürchtete, dass sein Zorn auf die Feinde wieder aufleben und ihm die Laune verderben könnte. So blätterte er also in seinem geliebten Büchlein, doch im Moment stand ihm nicht der Sinn nach Lesen, deshalb zog er die Schuhe aus, fand direkt im Zimmer Hausschuhe, die noch von seinem letzten Besuch hier zurückgeblieben waren, und schlurfte in die Küche.
Dort herrschte, wie überhaupt in der ganzen Wohnung, vollkommene Ordnung, alles war aufgeräumt und sauber. Pawel Aleksandrowitsch füllte den Teekessel mit Wasser und stellte ihn auf den Herd. Dann ging er in das große Zimmer, schaltete das Licht ein, ging hierauf weiter in das Schlafzimmer und machte auch dort Licht. Er wollte sich für ein paar Minuten hinlegen, aber ein gerahmtes Foto, das auf dem Nachtkästchen neben einem Spiegel auf der anderen Seite des Bettes, auf der Seite von Marija Ignatjewna stand, erregte seine Aufmerksamkeit.
Pawel Aleksandrowitsch trat näher an das Nachtkästchen heran und betrachtete das Bild genauer: Ein schöner Mann in Uniform war darauf abgebildet.
„Was soll’s“, dachte Dobrynin. „Ich bin schließlich nicht ihr wirklicher Mann, also macht das nichts …“
Der Volkskontrolleur wollte gar nicht weiter über diesen Mann nachdenken, umso mehr, als der Mann ein Soldat war, ein Offizier, was für Dobrynin sehr viel bedeutete. Das Einzige, was er dabei empfand, war Einverständnis mit Marija Ignatjewnas Wahl.
Es läutete an der Tür. Sogleich vergaß Dobrynin das Foto und ging in den Flur.
Der Hausmeister war gekommen. Er stand an der Türschwelle und wollte wissen, ob er nicht etwas zum Essen aus der Küche im Keller bringen solle.
„Ja, bring etwas!“, sagte Dobrynin freundlich zu ihm, und der Hausmeister machte bereitwillig kehrt und eilte die Treppe hinunter – offensichtlich machte er sich gerne für andere Menschen nützlich.
Dobrynin ließ die Tür einen Spalt offen, kehrte in die Küche zurück und nahm den Kessel mit dem kochenden Teewasser vom Herd. Er schüttete ein halbes Päckchen Tee hinein, das er im Küchenschrank gefunden hatte. Dann setzte er sich an den Tisch.
In die Stille der Dienstwohnung hinein tickte leise die Uhr, die an der Küchenwand hing, und der Volkskontrolleur hielt den Atem an, um darauf zu horchen.
Draußen breitete sich die Dunkelheit aus. Während Dobrynin auf das Abendessen wartete, erwachte in ihm ein Hungergefühl, das er während des Fluges unterdrückt hatte, und als er über seinen Hunger nachdachte, erinnerte er sich an seine Familie daheim, an das Dorf Kroschkino, an seinen Hund Mitka und an den Sternenhimmel, von dem sich manchmal nutzlose Sterne losrissen, hinabfielen und unterwegs erloschen.
„Hallo? Darf ich hereinkommen?“, erklang es leise aus dem Vorzimmer.
„Komm hierher!“, rief der Volkskontrolleur zurück.
Der Hausmeister trat ein und stellte ein mehrteiliges Gedeck auf den Tisch, das zum Transport von Essen mit Blechklammern zusammengehalten wurde. Mit geschickten Händen nahm er die Garnitur auseinander und stellte drei Töpfe und Schüsseln in der richtigen Reihenfolge vor Dobrynin auf. Dann legte er auch noch Essbesteck auf den Tisch aus, ganz wie es sich gehörte.
„Und du?“, fragte der Volkskontrolleur und sah den Hausmeister an. „Isst du auch etwas?“
„Danke …“ Der Hausmeister lächelte und zeigte
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