Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Die Vitrinen des Geschäfts leuchteten mit solcher Kraft, dass sie einen Teil der Straße heller beleuchteten als die Straßenlaternen.
„Na, dann kommen Sie, gehen wir!“, schlug Viktor Stepanowitsch vor.
Im Feinkostladen war es gemütlich und warm. Der große Saal, die strahlenden Kronleuchter, die Pyramiden unbekannter Waren, die hellen Farben – all das erinnerte Dobrynin an die Innenausstattung von Kirchen, und Pawel Aleksandrowitsch war erfüllt von Ehrfurcht. In den gläsernen Kassenhäuschen saßen hübsche Frauen ganz in Weiß, und Dobrynin hatte den Eindruck, als wären alle Blicke auf ihn und natürlich auf Viktor Stepanowitsch gerichtet. Das lag vermutlich daran, dass sie die einzigen Kunden waren.
„Na, gefällt Ihnen etwas?“, fragte Viktor Stepanowitsch.
Ohne zu antworten, trat Dobrynin näher an die hohe, saubere Theke heran, hinter der eine bezaubernde junge Frau mit kastanienbraunen Locken und rosigen Wangen stand und ihn freundlich anlächelte. Hinter der Frau hingen Regale an einer verspiegelten Wand, die mit Schachteln und farbenfrohen Dosen vollgestellt waren, und von dort hingen große und kleine Weißbrotkringel gebündelt herab, all das war außerdem noch mit Blumen geschmückt. Zwischen den Dosen erspähte Pawel Aleksandrowitsch eine Verpackung, die ihm bekannt vorkam. Er betrachtete sie genauer – es stimmte, auf der Verpackung war ein Rotarmist mit seiner Waffe abgebildet und darunter stand in schönen fetten Buchstaben die Bezeichnung „Auf dem Posten“. Das waren jene Kekse, die er im Norden gegessen hatte, wahrscheinlich im Haus des Komsomolzen Zybulnik.
„Bei uns ist alles ganz frisch!“, sagte die Verkäuferin mit angenehmer Stimme.
„Danke“, erwiderte Dobrynin aus irgendeinem Grund und sah die Frau dabei an. Dann fiel sein Blick wieder auf die Kekse. „Wie viel kosten die?“
„Was für welche?“, fragte die Verkäuferin.
„‚Auf dem Posten‘ …“
„Vier Kopeken … an der Kassa, bitte.“
Dobrynin verließ die Theke und kramte automatisch in seinen Hosentaschen. Hierauf durchsuchte er die Taschen seiner Jacke und holte von dort anstelle von Geld seine Kontrolleursvollmacht hervor, woraufhin ihm auch wieder einfiel, dass er kein Geld hatte und es auch nicht brauchte. Er ging wieder zu der Frau zurück und zeigte ihr sein amtliches Dokument.
Nachdem die Frau es gelesen hatte, sah sie Dobrynin mit großem Respekt an.
„Und was möchten Sie überprüfen?“, fragte sie.
„Einen Kringel!“, fiel dem Volkskontrolleur schnell ein. „Und diese Schachtel, ‚Auf dem Posten‘ …“
„Bitteschön!“ Die Frau verpackte Kringel und Keksschachtel gemeinsam und überreichte sie Dobrynin.
Nachdem Pawel Aleksandrowitsch seinen „Einkauf“ entgegengenommen hatte, fühlte er sich plötzlich unbehaglich im Geschäft, und obwohl er die unzähligen Regale voller Waren in den verschiedenen Abteilungen des Delikatessengeschäfts sehr gern genauer betrachtet hätte, trieb ihn dieses unbehagliche Gefühl hinaus in den Regen, wo das Auto auf ihn und Viktor Stepanowitsch wartete.
Viktor Stepanowitsch kam hinter ihm aus dem Geschäft und setzte sich gleich auf den Vordersitz des Wagens neben den Fahrer. Er hielt ein großes Bündel in seinen Händen.
„So“, sagte er und wandte sich zu Dobrynin um. „Ich habe Lebensmittel für das Abendessen gekauft, meine Frau ist auf Dienstreise gefahren.“
„Haben Sie auch eine Vollmacht?“, wollte der Volkskontrolleur wissen. „Also, damit sie einfach so etwas mitnehmen können … ohne Geld …“
„Nei-ein“, schüttelte Viktor Stepanowitsch den Kopf. „Ich muss für alles bezahlen. Ich bin doch nur ein einfacher Funktionär, wir haben solche Rechte nicht.“
Der Wagen fuhr durch das nächtliche Moskau. Vielleicht war es auch noch gar nicht spät, aber aufgrund des trüben, regnerischen Wetters dämmerte es bereits und die brennenden Straßenlaternen betonten den herannahenden Abend noch zusätzlich.
„Ich bringe Sie zu Ihrer Dienstwohnung“, sagte Viktor Stepanowitsch. „Morgen Früh hole ich Sie ab und dann geht es sofort in den Kreml.“
Kurze Zeit später bog der Wagen in eine Gasse ein und hielt an. Viktor Stepanowitsch und Dobrynin stiegen aus. Der Regen war nur noch ein leichtes Nieseln. Sie betraten ein mit zwei Arbeiterstatuen geschmücktes Haus, das Dobrynin bereits kannte. Viktor Stepanowitsch weckte den Hausmeister auf, der in seinem Zimmer vor sich hindöste, und dieser brachte sie in den
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