Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
fünft eingeladen, hat sie mit irgendeinem Hering verköstigt, und bis zum Morgen waren sie alle tot.“
    „Wer sie? Wer alle?“
    „Na ehemalige Anarchisten …“
    Banow biss sich auf die Lippe. Obwohl er in Erwägung gezogen hatte, dass es sich um jenen Rojd handeln könnte, war die Bestätigung seiner Vermutung doch ein Schock. Und dann war da noch die Vergiftung, mit der man sich naturgemäß noch auseinandersetzen musste. Man konnte einem Kind schließlich nicht so einfach aufs Wort glauben!
    „Nun, Robert, wie wäre es … Du könntest mich mit deiner Mutter bekannt machen … Nicht wahr?“, sagte Banow nach einer Pause. „Ich könnte vielleicht mit ihr reden und dann, siehst du, beginnt sie wieder zu träumen, und euer Leben wird besser und vielleicht fröhlicher …“
    Der Junge zuckte mit den Achseln, ohne den Blick von der Tischplatte abzuwenden.
    „Nun gut, geh nach Hause. Und sag deiner Mama, dass ich bei euch vorbeikommen werde!“ Banow stand auf und streckte dem Jungen seine kräftige, sehnige Hand entgegen.
    Robert drückte sie, aber der Direktor spürte seinen Händedruck kaum. Robert murmelte „Auf Wiedersehen“ und ging zur Tür.
    Bis zum späten Abend saß Banow am Tisch und dachte nach. Er dachte über Verschiedenes nach, aber immer wieder kehrten seine Gedanken zu dem rothaarigen Knaben zurück, zu dessen Mutter und zu jenem Rojd, der nun also bereits verstorben war und für den es im Leben nur zwei Freuden gegeben hatte: die Frauen und den Kampf.
    Es wurde bereits dunkel. Der Direktor schaltete das Licht an, holte Roberts Aufsatz aus dem feuerfesten Schrank und schrieb von der Titelseite die Adresse in sein Notizbuch ab. Hierauf legte er den Aufsatz wieder an seinen Platz und verschloss den feuerfesten Schrank sorgsam mit drei Schlüsseln.
    Draußen war immer noch der vergangene warme Tag zu spüren. Zwischen weit entfernten Häusern lugte der Mond hervor, und Banow erschien er wie ein Invalide.
    Bis zur Zweiten-Kasatschij-Gasse waren es ungefähr zehn Minuten zu Fuß, nicht mehr.
    Das Haus fand Banow leicht. Er ging durch die Eingangstür, stieg die breite Treppe hinauf in den ersten Stock und blieb vor der Tür mit der Nummer vier stehen. Links hingen zwei kleine Schilder, die unterhalb des Klingelknopfes mit Nägeln angebracht waren: „Schkarnizkij – einmal läuten“, „Rojd – zweimal läuten“.
    Banow dachte nach. Seine eigenen Nachbarn in der Kommunalwohnung mochte er zwar nicht, aber er verstand sehr wohl, wie viel im alltäglichen und persönlichen Leben von ihnen abhing. Und vermutlich deshalb streckte er die Hand nach dem Klingelknopf von Schkarnizkij aus. Der Umstand, dass man bei verschiedenen Klingeln läuten musste und darüber hinaus verschieden oft, stimmte den Schuldirektor etwas misstrauisch. Das zeigte schließlich, dass das Zusammenleben in dieser Kommunalwohnung des alten dreigeschoßigen Hauses möglicherweise unnötig kompliziert war.
    Schkarnizkij öffnete die Wohnungstür. Er war ein Mensch von wenig angenehmem Äußeren, hager, groß und schmierig. Das betraf nicht nur sein seit langem nicht gewaschenes Haar, sondern bezog sich auf das gesamte Erscheinungsbild, auch auf seine ungewaschene Kleidung.
    „Wollen Sie zu mir, Genosse?“, begegnete er Banow mit einer Frage.
    „Nein, ich möchte zu Genossin Rojd“, antwortete Banow und musterte den vor ihm stehenden Mann.
    „Können Sie denn lesen, was da an der Wand steht?“, fragte Schkarnizkij nicht gerade empört, aber ziemlich unfreundlich. „Dort steht doch: ‚Rojd – zweimal läuten‘, und außerdem ist da ein anderer Knopf!“
    Und nach diesen Worten schlug Schkarnizkij die Tür zu und ließ den Schuldirektor nicht in die Wohnung.
    Der verdutzte Banow blieb ein paar Minuten verlegen stehen, dann drückte er zweimal den Klingelknopf der Rojds.
    Eine Minute später öffnete sich die Tür aufs Neue. Vor Banow stand eine Frau mit gepflegtem Kurzhaarschnitt und in einem fliederfarbenen Hausmantel, die etwas über Dreißig sein mochte. Verwirrt biss sich Banow auf die Lippen, so als ob er alle gewöhnlichen russischen Wörter vergessen hätte.
    „Wollen Sie zu mir?“, fragte die Frau mit leicht erkälteter Stimme.
    „Ja“, stieß der Schuldirektor hervor.
    „Kommen Sie herein!“
    Der gemeinsame Flur der Kommunalwohnung war ziemlich breit, aber es befanden sich keine Möbel dort.
    Sie betraten ein Zimmer, das ebenfalls geräumig war und altmodisch möbliert, so als ob alle Gegenstände in ihm

Weitere Kostenlose Bücher