Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Tisch und erstarrten.
„Sie kannten Christian?“
„Hm, wir nannten einander nicht beim Vornamen … Ich war Genosse Banow, und es gab dort auch einen Genossen Rojd, so ein Rothaariger, fröhlich … von den Anarchisten … Er sagte oft zu mir: ‚Banow, denk dran, im Leben gibt es nur zwei wirkliche Freuden …‘“
„… die Frauen und den Kampf!“, brachte die Gastgeberin an Stelle von Banow den Satz zu Ende, und da flossen schon Tränen über ihre Wangen und sie versuchte nun gar nicht mehr, dagegen anzukämpfen.
Für einen Moment lang war Banow wieder verwirrt, er leerte sein Glas und sah schweigend auf seine Tischecke, da er befürchtete, Klara noch mehr aufzuregen.
„Das hätten Sie gleich sagen sollen … dass Sie ihn kannten …“, sagte die Frau. „Und Sie sprachen über Robert … den Aufsatz …“
„Aber ich … ich bin wirklich wegen Robert gekommen …“, sagte Banow, als ob er sich rechtfertigen müsse. „Ich bin schließlich Schuldirektor … Ich bin für meine Zöglinge verantwortlich, und er hat so einen Aufsatz geschrieben … und darüber, wie man seinen Vater vergiftet hat … Ist das die Wahrheit?!“
Klara seufzte tief und zuckte mit den Achseln.
„Wer weiß?“, sagte sie. „Vielleicht war es Zufall … Damals wurden schließlich in der Mosawiachim-Kantine auch sieben Menschen durch einen Hering tödlich vergiftet …“
„Ja, das habe ich gelesen …“, erinnerte sich der Schuldirektor laut.
Plötzlich lenkte ihn ein unangenehmer Schmerz in der Nähe des Knöchels ab. Er beugte sich hinunter und schlug mit der Hand auf den unteren Teil seines Hosenbeins, in der Hoffnung, eine dort eingedrungene Mücke zu erschlagen.
Inzwischen hatte sich die Gastgeberin wieder ein wenig beruhigt und füllte erneut die Gläser. Sie waren so klein, sodass Banow den Schluck, den er nahm, gar nicht bemerkte. Mechanisch biss er nach jedem Schluck von seiner Gurke ab, die er zuvor in das Salzfass getaucht hatte.
Auf dem Flur waren Schritte zu hören. Die Zimmertür knarrte und Robert kam herein. Erstaunt begrüßte er den Schuldirektor, ohne dass sein Blick an der Wodkaflasche hängen blieb.
Aus irgendeinem Grund hatte Banow gedacht, dass die Gastgeberin die Flasche sogleich verstecken würde und das alles von dem Jungen unbemerkt bliebe, aber Klara nickte Robert nur zu und unternahm keinen Versuch, diesen im Sinne einer Erziehung nicht gerade besten Teil des Erwachsenenlebens vor dem Kind zu verbergen.
Der Direktor, der sich deshalb ein wenig unbehaglich fühlte, erhob sich vom Tisch.
„Ich gehe schon“, sagte er. An der Tür blickte er sich um – Robert war nicht da, anscheinend war er zur Toilette gegangen. „Und ich bitte Sie, mehr zu träumen, versuchen Sie, gemeinsam mit ihm zu träumen …“
Klara war langsam aufgestanden, um den Gast hinauszubegleiten.
Draußen war es bereits vollkommen dunkel. Aus irgendeinem Grund brannten in dieser Gasse viele Straßenlampen nicht. Banow blieb stehen, um zu entscheiden, was er jetzt tun sollte: nach Hause gehen oder in sein Büro in der Schule zurückkehren. Nach Hause wollte er nicht, ebenso wenig wollte er jedoch in die Schule, und deshalb beschloss er, ein wenig durch die schlafende Stadt zu spazieren, durch die kleinen, vertrauten Gassen.
Lange schlenderte er durch die menschenleeren Straßen. Die Kremluhren hatten bereits Mitternacht geschlagen und waren wieder verstummt. Ein Stern, der bis dahin genau über dem Moskwa-Fluss gehangen hatte, riss sich vom tiefschwarzen Himmel los, glitt zur Erde und verlosch im Fallen.
Banow aber ging immer weiter, bog von einer Gasse in die nächste, gelangte von Zeit zu Zeit wieder in dieselbe Gasse und bog daraufhin zur Abwechslung in irgendeine andere ein. An der Ecke eines solchen Gässchens und einer anderen, bedeutenderen Gasse wurde er unvermutet von einer Patrouille angehalten, die hinter einer Hausmauer verborgen gewesen war.
„Warum schlafen Sie denn nicht, Genosse?“, fragten ihn drei hochgewachsene Männer höflich, die in der Dunkelheit gleich gekleidet erschienen.
„Ich kann nicht schlafen …“, bekannte Banow.
„Arbeiten Sie morgen etwa nicht?“
„Doch“, sagte der Schuldirektor.
„Und wie werden Sie dann arbeiten, wenn Sie sich nachts nicht ausruhen?“, fuhren die Patrouillierenden fort ihn auszuhorchen.
In Gedanken hatte Ihnen Banow bereits recht gegeben, und deshalb hatte er es nicht eilig, auf die letzte Frage zu antworten.
„Ich werde wohl gleich schlafen
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