Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
an ihrem Platz geblieben wären, trotz der Umverteilung aller Wertgegenstände zur Zeit der Revolution, vielleicht aber auch gerade deshalb, indem nämlich die Besitzer dieser Möbel und Gebrauchsgegenstände ausgetauscht worden waren.
    „Setzen Sie sich doch!“ Die Frau wies auf einen Stuhl an einem gediegenen, ovalen Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand. Sie selbst setzte sich gegenüber.
    „Danke“, sagte Banow. „Ich bin Wasilij Wasiljewitsch Banow oder einfach Genosse Banow. Der Direktor der Schule, die Ihr Sohn Robert besucht …“
    „Sehr erfreut“, nickte die Frau und auf ihrem Gesicht erschien für einen Augenblick ein Lächeln, das keineswegs fröhlich war, aber sehr angenehm und ehrlich. „Ich bin Klara Rudolfowna Rojd. Aber … die Sache ist die, Robert ist nicht mein Sohn …“
    Offensichtlich zeigte sich Erstaunen in Banows Gesicht und deshalb beeilte sich die Frau zu erklären:
    „Ich bin die Schwester seines Vaters, Christian Rojd. Seine Mutter starb vor sechs Jahren an Typhus, aber sie lebte schon vor ihrem Tod allein, irgendwo in Ussurijsk. Deshalb haben Christian und ich die Vereinbarung getroffen, dass wir für Robert die Eltern sind, Vater und Mutter.“
    „Und er weiß nichts davon?“, fragte Banow.
    „Nein. Ich hoffe, dass auch Sie zu niemandem etwas davon sagen …“
    „Natürlich“, versprach der Schuldirektor.
    „Ich weiß, dass Sie Robert zu sich gerufen haben … er hat es mir erzählt. Deshalb habe ich Ihnen auch alles erklärt … Entschuldigen Sie, ich habe Ihnen gar nichts angeboten, aber es ist so, dass man Tee nur in der Küche kochen kann, und dabei können wir uns nicht miteinander unterhalten, da muss man ja die ganze Zeit neben dem Teekessel stehen … Vielleicht möchten Sie einen Wodka trinken? Ich hätte einen da …“
    Banow fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und dachte bei sich, ob es wohl angebracht sei, auf ein derartiges Angebot einzugehen.
    „ Wo ist denn Robert?“, fragte er mit einem Mal, da er Angst bekommen hatte, dass der Junge sehen könnte, wie der Schuldirektor Wodka trank.
    „Im NKWD -Club, er nimmt an der Laientheatergruppe teil. In einer Stunde wird er wohl zurück sein“, antwortete Klara.
    „Na dann … meinetwegen …“, sagte Banow.
    Die Frau erhob sich, nahm aus der Anrichte eine offene Flasche und zwei Wodkagläser. Dann stellte sie zwei frische Gurken und ein Salzfass vor ihn auf den Tisch.
    Den ersten tranken sie schweigend und in gewisser Weise voreinander verlegen, wobei sich Banow eher förmlich verhielt und etwas unbehaglich fühlte.
    „Ich habe den Aufsatz Ihres Sohnes … Pardon … Roberts Aufsatz gelesen. Er heißt ‚Wovon meine Mama geträumt hat‘ … Wie soll ich es sagen, Genossin Rojd, er ist etwas depressiv … er schreibt, dass Sie keine Träume mehr haben … sozusagen den Glauben an das Leben verloren haben …“
    „Nennen Sie mich doch bitte Klara“, bat die Gastgeberin. „Wer sagt, dass ich nicht träume? Ich träume, aber ich kann doch dem Kind nicht all meine Gedanken anvertrauen.“
    „Er ist doch kein Kind mehr“, zuckte Banow mit den Achseln. „Er wird bald fünfzehn. Ein Erwachsener … Ich bin hierhergekommen, um mit Ihnen über diesen Aufsatz zu sprechen … Natürlich denke ich, dass Sie etwas fröhlicher sein sollten, mehr träumen und vielleicht auch etwas übermütiger sein sollten, als Genossin für Robert. Schließlich hängt davon sein weiteres Leben ab … Ich würde es verstehen, wenn er in einer Familie von Alkoholikern aufwachsen würde, aber Sie haben eine gesunde sowjetische Familie …“
    Und da verstummte Banow, denn er begriff, dass er etwas Unpassendes gesagt hatte. Offensichtlich zeigte der Wodka, der seine Zunge so weit gelöst hatte, dass seine Befangenheit verschwunden war, seine Wirkung.
    „ Verzeihen Sie, ich … ich meinte keine gewöhnliche sowjetische Familie. Ich weiß ja, dass bei Ihnen ein Unglück passiert ist … mit Roberts Vater …“
    Die Frau verzog schmerzlich den Mund, schenkte Wodka nach und wischte mit dem Finger eine Träne unter dem rechten Auge fort.
    „Vielleicht wollen Sie nicht darüber sprechen?“, fragte Banow leise. „Ich habe es Ihnen nicht gesagt und weiß es auch noch gar nicht sicher … Ich habe einmal einen Rojd gekannt …“
    Der erstaunte Blick der Gastgeberin ließ in ihren Augen ein ungewöhnliches Licht aufleuchten. Sie fixierte den Schuldirektor. Die Finger ihrer rechten Hand umfassten das Glas auf dem

Weitere Kostenlose Bücher