Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
fort, bis es plötzlich still wurde. Erst als er die auf seinem Tisch gestapelten Mappen mit Aufsätzen gezählt hatte, begriff Banow, dass seine Schule die Anordnung des Narkompros erfüllt hatte. Man musste natürlich genau sein: wie viele Schüler die Aufsätze außerhalb der Schulmauern geschrieben hatten und welcher Lehrer ihnen dabei geholfen hatte, die Aufsicht über diese Angelegenheit war dem Vizedirektor übertragen worden, dem ehemaligen Matrosen Kuschnerenko, und auf diesen Mann, das wusste Banow, konnte man sich verlassen.
Wasilij Wasiljewitsch kochte Tee und löste langsam zwei Würfel Zucker in der Blechtasse auf. Er ergriff die nächstliegende Mappe, auf der vermerkt war: „Klasse 7B. Einunddreißig Aufsätze. Lehrer: Moschaikin W. I.“ Er knüpfte die schmalen Bänder auf und öffnete die Mappe.
Wieder klopfte es an der Tür und der Schuldirektor klappte die Mappe automatisch zu.
Der Vizedirektor trat ein.
„Genosse Schuldirektor“, sagte er. „Erlauben Sie, Bericht zu erstatten. Von zweiundvierzig Schülern, die sich außerhalb der Schule befinden, haben einundvierzig den Aufsatz geschrieben, und diese Aufsätze habe ich hier!“ Und mit den Augen wies er auf die Mappe in seinen Händen.
„Und was ist mit dem zweiundvierzigsten?“, wollte Banow wissen.
„Die Ärzte haben es nicht erlaubt … er liegt mit gebrochener Wirbelsäule im Krankenhaus, ohne Bewusstsein … Alle anderen, die in Krankenhäusern sind, haben den Aufsatz geschrieben.“
„Also gut, danke“, nickte der Schuldirektor dem Vizedirektor Kuschnerenko zu. „Lass die Mappe hier, du kannst gehen! Sind die Schüler und Lehrer übrigens schon gegangen?“
„Ja, die sind schon weg“, sagte Vizedirektor Kuschnerenko. „Nur die Petrowna ist noch hier, sie wäscht die Fußböden im Erdgeschoß …“
„Dann sag ihr bitte, dass sie heimgehen kann, sobald sie mit dem Erdgeschoß fertig ist. Heute hat es keine Pausen gegeben, also sieht man auch keinen Schmutz.“
Die Tür fiel ins Schloss und man hörte vom Korridor her die Schritte des Vizedirektors widerhallen, der sich entfernte. Wieder öffnete Banow die Mappe. Er war neugierig, welches der drei vorgeschlagenen Themen von den Schülern am häufigsten gewählt worden war. Er sah einige Überschriften durch. Im Großen und Ganzen waren zwei Themen zu finden: die Liebe zum Vaterland und die Familie. Wasilij Wasiljewitsch wunderte sich ein wenig. Über den Traum des Vaters zu schreiben, erschien ihm leichter. Er sah noch zehn weitere Aufsätze durch, das Resultat blieb das Gleiche – nur zwei Themen. Das verwunderte den Schuldirektor noch mehr, es machte ihn geradezu perplex. Er legte die durchgesehenen Aufsätze beiseite und nahm den restlichen Stapel von Heftblättern zur Hand, ging die Titelseiten durch und legte sie zu den bereits durchgesehenen, als sein Blick an dem bisher einzigen Aufsatz hängen blieb, dessen Thema der Traum des Vaters war. Banows Lippen formten sich zu einem Lächeln, er nahm einen Schluck von dem bereits abgekühlten Tee und schlug den Aufsatz auf, jedoch vertrieb bereits der erste Satz das Lächeln aus dem Gesicht des Schuldirektors.
„Ich habe keinen Papa mehr. Deshalb schreibe ich, wovon meine Mama geträumt hat. Geträumt hat sie früher, aber inzwischen träumt sie nicht mehr …“
Banow seufzte tief – er hätte gerne etwas Mutiges und Kämpferisches lesen wollen, etwas wirklich Jungenhaftes, und dann stand hier gleich am Anfang des Aufsatzes so eine Rührseligkeit!
Der Schuldirektor sah wieder auf das Titelblatt.
„Robert Rojd, Klasse 7B , Wohnadresse: Moskau, 2.-Kasatschij-G., Haus 10/3, Wohnung 4.“
„Rojd?“, flüsterte Banow erstaunt.
Irgendwann einmal während des Krieges hatte er einen Menschen mit solch einem seltsamen nichtrussischen Namen getroffen. Das war ein rothaariger Kämpfer gewesen, der mit Vorliebe wiederholte, dass er ein geborener Anarchist sei. Er stammte offenbar aus der Nähe von Riga. Was war ihm noch von ihm in Erinnerung geblieben? Wohl nur ein einzelner Satz, den dieser zu sagen pflegte, wann immer er Banow gesehen hatte. „Banow“, hatte er gesagt, „denk dran, im Leben gibt es nur zwei wirkliche Freuden: die Frauen und den Kampf.“ Ein dummer Satz. Banow war damit nie einverstanden gewesen. Aber da regte sich etwas in dem Schuldirektor, etwas, das mit dem besten Teil seines Lebens zusammenhing, mit seiner kriegerischen Vergangenheit. Und wieder schlug er den Aufsatz des Siebtklässlers
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