Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
Kinder klettern herunter und laufen los, um ihre Mama zu suchen. Die ist aber nicht da. Sie fragen:
    „Wo ist denn die Mama?“
    „Sie besorgt Geschenke für euch!“, sagt Dobrynin. Die Kinder ziehen sich an. Und Iljitsch sagt zu ihnen:
    „Stellt euch um die Tanne auf, wir wollen einen Reigen tanzen!“
    Der Junge steht auf der einen Seite der Tanne, das Mädchen auf der anderen. Sie stehen und warten. Iljitsch zieht eine Uhr an einer Kette aus seiner Westentasche, wirft einen Blick darauf und seine Miene verfinstert sich. Düster blickt er auf die Dielentür. Da betritt auch schon jemand das Haus. Die Tür öffnet sich, und eine Schar schläfriger Kinder drängt in die Stube, gefolgt von zwei Rotarmisten mit Gewehren.
    „Befehl ausgeführt!“, meldet einer von ihnen Lenin.
    Der Führer betrachtet die Kinder, zählt sie und fragt:
    „Habt ihr den Eltern erklärt, warum die Kinder mitgenommen wurden?“
    „Haben wir!“
    „Na, dann ist es ja gut!“ Das Gesicht des Führers nimmt einen zufriedenen Ausdruck an, er dreht sich zu den Kindern um, beugt sich ein wenig zu ihnen hinab und fährt fort:
    „Nun, liebe Kinder, stellt euch um die Tanne auf, wir wollen einen Reigen tanzen …“
    Die Kinder machen einen Kreis, dann wendet sich Lenin an Dobrynin und Kalinin und sagt:
    „Was steht ihr denn so herum? Wollt ihr etwa nicht mit uns tanzen?“
    Schließlich stellen sie sich alle gemeinsam zum Reigen auf.
    Lenin beginnt irgendein Lied zu singen und bestimmt die Richtung des Reigens, und plötzlich, mitten im Tanz, während die Kinder singen, dreht er sich zu den Rotarmisten um und befiehlt ihnen, hinauszugehen und vor dem Haus Wache zu stehen.
    Die Rotarmisten folgen gehorsam und Dobrynin kommt es so vor, als wären sie ein bisschen betrübt. Auch für sie ist das schließlich ein Festtag, aber zum Reigen hat man sie nicht aufstellen lassen. Schon möchte Dobrynin an ihrer Stelle den Führer bitten, dass er sie in die Stube zurückholen dürfe, aber dann denkt er, dass es wahrscheinlich so vorgeschrieben ist, dass jemand Wache stehen muss, während gefeiert wird, also schweigt er. Und Genosse Kalinin, der als Väterchen Frost verkleidet ist, begibt sich unter die Tanne, knüpft seinen Sack mit Geschenken auf und beginnt, die verschiedenen Bonbons und Geschenke auf dem Boden zu verteilen. Als er damit fertig ist, kehrt er in den Reigen zurück. Sie tanzen immer weiter, Dobrynins Beine tun schon weh, und die Kinder schauen auf die Häuflein von Geschenken und ihnen läuft das Wasser im Mund zusammen, aber sie können nichts sagen, da sie von klein auf an Vorschriften gewöhnt sind. Sie tanzen und warten.
    Da hält Iljitsch den Reigen an und sagt:
    „Und jetzt, Kinder, werde ich euch Zaubertricks vorführen.“ Und schon dreht er sich zu Dobrynin um und fragt:
    „Hast du hier im Haus drei Fingerhüte? Ich brauche sie für den Zaubertrick!“
    „Da muss ich Manjascha fragen …“, sagt Pawel zögerlich. „Sobald sie kommt, frag ich sie …“
    „Na schön.“ Iljitsch scheint betrübt, verzagt aber nicht, vor allem, da ihn alle Kinder erwartungsvoll ansehen.
    „Hast du vielleicht Karten?“, fragt der Führer Dobrynin.
    „Ich, ich habe welche!“, freut sich Kalinin, zieht aus einer seiner Brusttaschen ein Kartendeck und reicht es dem Führer.
    Der Führer nimmt den Talon und geht in die Hocke. Er mischt die Karten gut, dann zeigt er dem kleinen Nachbarsmädchen Agafja die unterste Karte und sagt:
    „Hast du sie dir gemerkt?“
    „Ja!“, sagt das Mädchen.
    Wieder mischt Iljitsch die Karten, hebt ein paar Mal ab, zieht genau diese Karte – die Pik Sechs – und zeigt sie dem Mädchen.
    „Ist sie das?“, fragt er.
    „Das ist sie“, nickt das Mädchen.
    „So, und jetzt du!“, sagt Großväterchen Lenin zu einem Knaben und führt auch ihm den Zaubertrick vor.
    „Aber wie machen Sie das?“, fragt das Nachbarsmädchen Awdotja, das eineinhalb Jahre älter als Agafja ist.
    „Das ist ein Geheimnis“, lächelt Großväterchen Lenin. „Das verrate ich nicht.“
    Da kommt Manjascha, ganz rot von der Kälte. Sie bringt den Kindern Lebkuchen, aber als sie sieht, was im Wohnzimmer vor sich geht, bleibt sie wie angewurzelt stehen.
    „Oh, und jetzt werden wir mit Mama Reigen tanzen!“, freut sich Iljitsch, nimmt Manjascha in den Reigen auf und sie beginnen wieder, im Kreis um die Tanne zu tanzen. Sie tanzen so lange, bis eines der Kinder zu weinen anfängt. Da hält Großväterchen Lenin den Reigen an und

Weitere Kostenlose Bücher