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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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sein musste, die nur zur Zeit der Revolution und des Zusammenbruchs in Umlauf waren, warum hätte man sie sonst in der Erzählung erwähnen sollen. Und als Schlussfolgerung seiner Überlegungen kam Dobrynin der Gedanke, dass man Kinder ganz besonders lieben und Feste für sie organisieren solle. Die Bedeutsamkeit dieses Gedankens schien irgendwie zweifelhaft, diesen Verdacht schob er allerdings ganz schnell beiseite, denn ihm war klar, dass Gedanken von zweifelhafter Bedeutsamkeit weder in Büchern noch in Zeitungen abgedruckt würden, und das musste bedeuten, dass er aufgrund der Einfachheit seines Geistes nicht alles begreifen konnte.
    Inzwischen waren die Flechten im Ofen verbrannt und Dobrynin warf noch etwas von dem braunen Brennstoff nach, die letzten Stücke, die auf dem Holzboden lagen. Sobald sie verbrannt waren, musste er aus dem Haus, in diesen bereits seit Tagen wütenden Schneesturm, um etwas von Fjodors vorbereiteten Flechtenstücken auf den Wandbalken zu ertasten, sie herunterzuholen, hineinzuwerfen und noch mehr davon zu nehmen als Vorrat für den Fall, dass die Schneegewalt andauerte. Das freute den Volkskontrolleur verständlicherweise nicht, aber man kann sagen, dass es ihn auch nicht bekümmerte, da er seit seiner Kindheit auf Schwierigkeiten und Entbehrungen vorbereitet war, und erst jetzt, so schien es, war die Zeit dafür gekommen.
    Das Pferd Grigorij, das bisher geschwiegen und Dobrynins Gedanken nicht gestört hatte, begann heiser zu wiehern und schüttelte sein Haupt.
    Pawel ging zu dem Tier und warf einen Blick in den leeren Topf. Er verstand, was los war, und öffnete kurz die Tür, wie er es von Fjodor gelernt hatte, stellte den Topf hinaus und holte ihn voller Schnee nach einer halben Minute wieder herein. Er stellte ihn neben den Ofen und dachte dann für sich, dass es nicht schaden könne, sich schlafen zu legen.
    Aber obwohl er schläfrig war, wartete er ab, bis der Schnee aufgetaut und das Wasser für Grigorij ein wenig warm geworden war. Erst als der Topf vor dem Pferd stand, löschte Pawel Aleksandrowitsch die Petroleumlampe und legte sich in die Nähe des Ofens auf den ausgebreiteten Rentierpelz und deckte sich mit einem ebensolchen zu. Er dachte, wie schwer es der Pilot und Fjodor nun haben mussten, die vermutlich noch gar nicht im Militärlager angelangt waren. Er schloss die Augen und horchte noch einige Zeit darauf, wie das Pferd Grigorij Wasser schlürfte. Es war geradezu erstaunlich, dass das Geplätscher des Wassers im Topf zu hören war, offenbar hatte sich der Schneesturm etwas beruhigt, vielleicht hatte er gar, zum Glück für die Natur ringsum, ein Ende gefunden.
    In dieser Stille, die nun entstand, auch wenn es vielleicht nur eine scheinbare war, begann Dobrynin zu träumen.
    Er träumte, dass er bei sich in der Hütte im Dorf Kroschkino aufwacht, dass er aus dem Fenster sieht und draußen ein Schneesturm tobt. Da klopft es plötzlich an der Tür. Er geht in die Diele, öffnet und da steht Wladimir Iljitsch Lenin, leicht bekleidet, nur in Sakko und Weste. Dobrynin tritt zur Seite, um den Gast ins Haus zu lassen, aber der Gast ist nicht allein. Hinter ihm tritt Genosse Kalinin ein, als Väterchen Frost verkleidet und mit einem großen Sack in der Hand, und hinter diesem tragen zwei Rotarmisten eine geschmückte Tanne herein. Sie schaffen die Tanne ins Zimmer und Wladimir Iljitsch zeigt ihnen einen Platz genau in der Mitte, wo sie die Tanne hinstellen sollen. Sie stellen die Tanne ab, rücken den Tisch in die Ecke und da dreht sich Iljitsch auch schon zu Dobrynin um, lächelt gutmütig und fragt sanft:
    „Hast du Kinder?“
    „Ja“, antwortet Pawel.
    „Und wie viele?“, will der Führer wissen.
    „Zwei“, antwortet Dobrynin.
    „Zu wenig!“, sagt Iljitsch und gibt den Rotarmisten den Befehl, zu den Nachbarn zu gehen und mindestens fünf Kinder herbeizuholen, zusätzlich zu den zwei bereits vorhandenen. Dann sieht er Dobrynin wieder an und fragt erneut: „Und wo sind sie jetzt?“
    „Sie schlafen“, sagt Dobrynin.
    „Na, dann weck sie auf!“, sagt der Führer und nickt mehrmals mit dem Kopf.
    Da geht Dobrynin zum russischen Herd und zieht den schlafenden Kindern die Decke weg. Sie blicken drein wie gerade erst geborene Kätzchen, reiben sich die verschlafenen Augen und begreifen gar nichts, da sagt Großväterchen Lenin zu ihnen:
    „Das neue Jahr steht vor der Tür und ihr liegt immer noch auf dem Herd! Schämt ihr euch gar nicht?!“
    Die erschrockenen

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