Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
dabei nicht, auch nicht an den Piloten oder an Fjodor, obwohl er Achtung vor ihnen hatte.
Vor dem Fenster heulte wie zum Überdruss nach wie vor der Schneesturm, den Dobrynin zu überhören gelernt hatte. Andernfalls hätte er gar nicht erst nachdenken können.
Vom Tee hatte er genug. Das Brennholz brannte schon wieder nieder, und Dobrynin schielte unzufrieden auf den unersättlichen Ofen und dachte erst gar nicht – darüber nachzudenken war unangenehm –, sondern fühlte, dass er wieder hinter das Haus würde gehen müssen, ins Flugzeug klettern, einige Holzscheite herausholen, welche wieder abbrennen würden, und auf diese Weise würde sich alles wiederholen, aber wie lange? Dobrynin wusste es nicht. Entweder bis zur Rückkehr der Proviant holenden Gefährten oder bis zum Ende des Schneesturms …
Lustlos erhob sich Dobrynin vom Tisch, warf den Rentierpelz wieder um, seufzte tief und ging zur Tür. Er schob den Riegel zurück und hatte soeben mit der Schulter die Tür aufgestoßen, da brach von hinten ein Gepolter los, das physische Gestalt annahm und ihn zu Boden riss, auf die Schwelle der offenen Türe, und über ihn, der gar nicht begriff und dessen rechte Schläfe gegen das kalte Holz gepresst wurde, hinwegfegte. In seinem Kopf begann es so stark zu dröhnen, dass ihm das Geheul des Schneesturms ganz zart vorkam, etwa so wie Laute, die Grashüpfer oder Grillen von sich gaben. Und da drang auch noch die Kälte durch die offene Tür, strömte ins Haus, breitete sich in frostigen Wellen über den in der Türöffnung liegenden Menschen. Und dieser Mensch begriff, dass, wenn er seine Kraft nicht zusammennehmen, zurückkriechen und die Tür schließen würde, er hier für immer so liegen bleiben würde, in jedem Fall aber bis zur Rückkehr seiner Gefährten. Und Dobrynin drehte sich ungelenk um, wobei sich sein Körper seltsam steif anfühlte, kroch weg, zog die Tür zu und verriegelte sie.
Und draußen vor der Tür, vor dem Fenster, jenseits der Wände, heulte nach wie vor der Schneesturm. In diesem Heulen erklang ein paar Mal das Wiehern eines Pferdes, verstummte jedoch bald.
Nachdem Pawel, der von seinem Pferd Grigorij niedergestoßen worden war, wieder ein wenig zu sich gekommen war, setzte er sich an den Tisch und starrte finster auf die beiden ersehnten Zwiebackstücke. Nein, seine Einstellung gegenüber diesen Zwiebackstücken hatte sich nicht verändert. In seinem Leben hatte sich etwas verändert. Etwas hatte sich drastisch verändert und zwar nicht gerade eben, nicht erst seit der Flucht des Pferdes, sondern schon davor, zu einem Zeitpunkt, den er jetzt unmöglich bestimmen konnte.
Im Haus war es merklich kälter geworden, aber Pawel ging nicht zum Ofen, um sich die Hände zu wärmen. Er dachte wieder darüber nach, dass alles, was an diesem Ort mit ihm geschah, ein echter Kampf ums Leben war, gegen einen unsichtbaren Feind, und der war in diesem Moment die Natur. Und als er so über Feinde nachdachte und sich erinnerte, dass das Leben tatsächlich ein Kampf war, verstand Dobrynin, dass das Schwierigste noch vor ihm lag, bis zu seinem Tod, natürlich nur dann, wenn er diesen Schneesturm überlebte. Er ging wieder Brennholz holen und hätte sich dabei fast ein Bein gebrochen, als er mit einem schweren Bündel Holzscheite in der Hand aus dem Flugzeug in die undurchsichtigen Schneemassen sprang. Wieder spaltete er die Holzscheite mit der Axt und wieder saß er eine Weile neben dem Ofen, um sich die Hände zu wärmen. Wieder legte er sich auf dem Boden neben dem Ofen schlafen, rückte aber diesmal näher als vorher an das vom Feuer erhitzte Metall heran. Und er schlief ein, schlief ganz tief und spürte dabei die unglaublich starke Anziehungskraft der Erde. Diese Anziehungskraft, so schien es, wollte Dobrynin in die Erde hineindrücken, durch den Frostboden des Nordens hindurch hineinziehen, ihn tief in ihr Zentrum hineinsaugen oder verschlingen, in ihren feurigen Kern, der das ewig klopfende und pulsierende Herz des Vaterlandes war. Und als er endlich in jenen Zustand des Schlafes eingetaucht ist, in dem alles Scheinbare Wirklichkeit wird, fühlt Dobrynin, wie sein Körper nach unten fällt, in einen dunklen Abgrund, dicht wie Nebel, und dabei fliegt er mit solch einer Geschwindigkeit, dass ihm die Ohren sausen. Und neben ihm fliegt noch etwas anderes, so hell, dass es in seinen Augen schmerzt, und ziemlich groß. Es ist ein Stern, der sich vom Himmel losgerissen hat, und wenn Dobrynin im Fallen
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