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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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hatte, dass er seine Familie so fern zurückgelassen hatte, die er natürlich innig liebte, aber dennoch nicht so innig wie das Heimatland. Dabei war es doch ohne Zweifel klar, dass ein Mensch nur ein Heimatland, aber mehrere Familien haben konnte.
    „ … und hier verbrennen sie die ihrigen“, zeigte Zybulnik mit der Hand auf die Überreste eines Feuers.
    „Ihre Toten?“
    „Je nachdem“, antwortete der Komsomolze. „Ich habe es noch nie gesehen, aber ich glaube, dass sie auch Lebende verbrennen. Sie werden geopfert, um eine bessere Jagd zu erbitten oder um mehr Fische zu fangen. Solchen Irrglauben haben sie.“
    „Geopfert?“
    „Ja, ihren Göttern. Aber jetzt ist das natürlich nicht mehr so. Wir gewöhnen es ihnen allmählich ab. Jetzt opfern sie nur mehr einem Gott. Und Lenin haben sie sogar einen eigenen Namen in ihrer Sprache gegeben. Aber sehr bald, wenn der alte Irrglaube in Vergessenheit geraten sein wird, werden wir an all diesen Orten vollwertige Denkmäler unseres Führers aufstellen und den Eskimos beibringen, Blumen an den Denkmälern niederzulegen statt Menschen zu verbrennen. Das hier ist doch die reinste Barbarei. Als ich hier frisch angekommen war, habe ich mich schrecklich gewundert, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt und warte erst einmal ab.“
    „Jaaa …“, bezeugte der Volkskontrolleur seine Verwunderung. „Und wie leben sie? Also, haben sie Frauen? Kinder?“
    „Ja, natürlich“, antwortete der Komsomolze, während er näher an den Pfahl herantrat, auf dessen Spitze die Iljitsch-Büste befestigt war, und begann, die Büste genau in Augenschein zu nehmen. „Was haben sie denn dort auf Lenins Schulter eingeritzt?! Hm?“, fragte er sich und reckte sich noch höher auf die Zehenspitzen.
    „Was ist dort?“
    „Irgendein Fisch mit Stoßzähnen“, sagte Zybulnik. „Nein, das ist wahrscheinlich ein Walross.“
    „Ein Walross? Was ist das denn?“
    „Ein Meerestier“, erklärte der Komsomolze knapp. Dann drehte er sich zu Dobrynin um und fuhr fort:
    „Ein sehr bösartiges Tier. Wenn es im Rudel auftritt, kann es viele Menschen töten, besonders Fischer. Wahrscheinlich haben sie das Walross aus religiösen Gründen auf die Schulter des Führers eingeritzt. Vermutlich auch für ein gutes Jagdergebnis.“
    Dobrynin wunderte sich über den Irrglauben der Einheimischen: In der Tat war auch das russische Volk durchaus zu irrigen Überzeugungen imstande, aber bis zu Abgöttern und Menschenverbrennungen hatte man es dort noch nicht gebracht. Das bedeutete, dass der Norden ein ernster Fall war und dass man ihn nicht einfach nur so dorthin geschickt hatte. Offenbar gab es da etwas zu prüfen und zu kontrollieren.
    Sie kehrten zum Propellerschlitten zurück und setzten ihren Weg in die Stadt Chulajba fort.
    * * *
    Die Stadt Chulajba bestand aus drei großen Holzhütten und einigen Zelten. Sie lag in einer Vertiefung zwischen drei Hügeln, wobei auf der Kuppe eines der Hügel wie auf dem Dach der Hütte am Flugplatz ein Windsack angebracht war, dessen rot-weiß gestreifter Sack sich hin und wieder aufblähte und sich mit frostigem Wind füllte, dann wieder in sich zusammenfiel, was von einer unbeständigen Bewegung der Luftmassen zeugte.
    Nachdem Dobrynin und Zybulnik aus dem Propellerschlitten gestiegen waren, betraten sie eine Hütte mit der Aufschrift „Chulajba Haus Nr. …“. Vor der nächsten Tür blieben sie stehen. Der Komsomolze klopfte und auf einen Zuruf von der anderen Seite öffnete er die Tür.
    In dem geräumigen Zimmer war es warm. In der Ecke stand ein Ofen und man konnte hören, wie das darin brennende Holz knisterte und knackte. Daneben lag noch mehr Brennholz – Birkenholz. Dobrynin bewunderte die gekräuselte Birkenrinde und achtete gar nicht auf den Mann, der von seinem Tisch aufgestanden war und sie mit einem freundlichen Lächeln begrüßte.
    „Herzlich willkommen!“, sagte der Mann. Dobrynin besann sich mit einem Mal und richtete seine Aufmerksamkeit auf ihn. Er nickte.
    „Ich bin Kriwizkij“, erklärte der Mann, während er mit dem Volkskontrolleur einen Blick wechselte. „Der Vorsitzende von Chulajba. Und Sie sind Pawel Aleksandrowitsch Dobrynin, nicht wahr?“
    „Ja“, bestätigte Pawel.
    „Nun, sehr erfreut!“, sagte Kriwizkij. Dann wandte er sich dem Komsomolzen zu. „Die Technik hat euch nicht im Stich gelassen?“
    „Nein“, bestätigte dieser. „Besser als ein Flugzeug!“
    Dobrynin musterte Kriwizkij und bildete sich sogleich ein

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