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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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wirkte bestürzt. »Sollen wir weitermachen?«
    »Nein, ich glaube nicht.« Totton betrachtete die Münzen auf dem Tisch und blickte aus dem Fenster. »Spiel, mit wem du willst, Jonathan«, sagte er mit einer wegwerfenden Handbewegung.
     
     
    »Du hättest es sehen sollen, Vater.« Willie Seagull strahlte übers ganze Gesicht, während er seinem Vater beim Flicken eines Fischernetzes half.
    Am Morgen nach dem Gespräch zwischen Totton und seinem Sohn hatte Jonathan zum ersten Mal Willie Seagull zu sich nach Hause mitgenommen.
    »War Henry Totton da?« Der Seemann unterbrach sein Summen, um diese Frage zu stellen.
    »Nein. Nur Jonathan und ich. Und die Dienstboten, Vater. Sie haben eine Köchin und eine Küchenmagd und noch zwei Frauen, die…«
    »Totton ist reich, mein Sohn.«
    »Und eines habe ich gar nicht gewusst, Vater. Nämlich, wie tief diese Häuser sind, obwohl sie doch von vorne so schmal aussehen. Hinter dem Kontor liegt eine riesige Halle, zwei Stockwerke hoch, mit einer Empore an der Seite. Und dann gibt es noch mehr Zimmer.«
    »Ich weiß, mein Sohn.« Totton bewohnte ein typisches Kaufmannshaus, wie es der kleine Willie noch nie betreten hatte.
    »Und der Keller ist riesengroß und so lang wie das ganze Haus. Da unten bewahren sie alle möglichen Sachen auf. Weinfässer, Stoffballen und Säcke mit Wolle. Ganze Schiffsladungen voll«, fuhr Willie aufgeregt fort. »Und der Speicher unter dem Dach ist gewaltig. Dort oben stehen Säcke mit Mehl und Malz und noch vieles mehr.«
    »Das ist kein Wunder, Willie.«
    »Und draußen, Vater. Ich habe gar nicht geahnt, wie lang die Gärten sind. Sie reichen von vorne bis zu der Gasse hinter der Stadt.«
    Die Landparzellen in Lymington hatten eine für mittelalterliche Städte typische Form. Die Front zur Straße hin war fünfeinhalb Meter breit, ein Maß – auch Rute genannt –, das man gewählt hatte, weil es einer Pflugspur auf einem englischen Feld entsprach. Ein zweihundertzwanzig Meter langer Streifen ergab eine Achtelmeile, vier Achtelmeilen ergaben null Komma vier Hektar. Deshalb waren die Grundstücke lang und schmal wie ein gepflügtes Feld. Henry Totton besaß zwei zusammenhängende Parzellen. Auf der zweiten bildeten seine Stallungen und eine vermietete Werkstatt einen Hof. Dahinter befand sich ein etwa hundert Meter langer, elf Meter breiter Garten, der sich über beide Parzellen erstreckte.
    Alan Seagull nickte. Er fragte sich, ob Willie sich wohl auch nach einer solchen Lebensweise sehnte, doch soweit er es beurteilen konnte, war sein Sohn damit zufrieden, den Wohlstand des Kaufmanns von außen zu betrachten. Dennoch beschloss er, ihm zwei Warnungen mit auf den Weg zu geben. »Weißt du, Willie«, sagte er leise, »du darfst nicht glauben, dass Jonathan für immer dein Freund bleiben wird.«
    »Warum nicht, Vater? Er ist doch sehr nett.«
    »Schon. Aber eines Tages werden sich die Dinge ändern. So ist das Leben.«
    »Das fände ich schrecklich.«
    »Mag sein. Und da wäre noch etwas.« Alan musterte seinen Sohn eindringlich.
    »Ja, Vater?«
    »Es gibt Dinge, die du ihm nie erzählen darfst, obwohl er dein Freund ist.«
    »Meinst du damit…?«
    »Unser Geschäft, mein Sohn. Ist dir das klar?«
    »Ach, das.«
    »Du hältst den Mund, oder?«
    »Aber natürlich.«
    »Du darfst mit niemandem darüber reden, der zur Familie Totton gehört. Hast du das verstanden?«
    »Ja«, erwiderte Willie. »Ich sage kein Wort.«
     
     
    In jener Nacht wurde im Angel Inn eine Wette abgeschlossen. Geoffrey Burrard hatte sie vorgeschlagen.
    Und Henry Totton nahm sie nach reiflicher Überlegung an. Halb Lymington war Zeuge.
    Das Angel Inn war ein gemütliches Gasthaus oben an der High Street, in dem alle Bevölkerungsschichten der Stadt verkehrten. Also war es nicht weiter verwunderlich, dass Burrard und Totton sich an diesem Abend zufällig dort trafen. Die beiden Männer waren von Geburt an Freisassen, freie Bauern mit eigenem Landbesitz oder wohlhabende Kaufleute. Und sie waren beide wichtige Männer in der Stadt, Stützen der Gesellschaft, wie man so schön sagt. Sie bewohnten Häuser mit Giebeln und überhängenden oberen Stockwerken, besaßen Anteile an zwei oder drei Schiffen, handelten mit Wolle und benutzten den großen Stapelhafen von Calais als Umschlagplatz. Die Burrards wohnten zwar schon ein paar Generationen länger in Lymington als die Tottons, aber das Wohl der Stadt lag beiden Familien gleichermaßen am Herzen. Außerdem hatten die zwei Männer ein

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