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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gemeinsames Anliegen.
    Der große Hafen von Southampton hatte schon eine bedeutende Rolle gespielt, als Lymington noch ein kleiner Weiler gewesen war. Vor vielen Jahrhunderten hatte man Southampton die Oberhoheit über alle kleineren Häfen an diesem Teil der Südküste eingeräumt; unter anderem gehörte dazu das Recht, für alle ein- und ausgeführten Güter die königlichen Steuern und Zölle einzutreiben. In königlichen Dokumenten wurde der Bürgermeister von Southampton sogar als Admiral bezeichnet. Doch nachdem Lymington dem König im Hundertjährigen Krieg eigene Schiffe zur Verfügung gestellt hatte, erschien es wie ein Affront, dass man sich immer noch der Vorherrschaft Southamptons beugen musste. »Wir treiben selbst die Zölle ein«, erklärte die Bürgerschaft von Lymington. »Schließlich brauchen wir Geld für unsere eigene Stadt.« Und so kam es in dieser Frage seit mehr als hundertsechzig Jahren immer wieder zu Disputen und Gerichtsverhandlungen.
    Dass er mit einigen Mitgliedern der Bürgerschaft von Southampton verwandt war, trübte Tottons Parteinahme für Lymington keineswegs. Schließlich betrieb er hier seine Geschäfte. Er beurteilte die Lage mit seinem messerscharfen Verstand und teilte der Bürgerschaft mit: »Was die königlichen Steuern angeht, ist Southampton immer noch im Vorteil. Aber wenn wir unsere Forderungen auf Kielgeld und Kaigeld beschränken, werden wir sicher gewinnen.«
    »Was würden wir ohne dich tun, Henry«, lautete Burrards Lob.
    Burrard war ein stattlicher, rotgesichtiger Mann und ein paar Jahre älter als Totton. Im Gegensatz zu Totton, der eher zu Zurückhaltung und Vorsicht neigte, war er ein temperamentvoller und leidenschaftlicher Mensch. Doch erstaunlicherweise hatten die beiden eine gemeinsame Schwäche.
    Burrard und Totton wetteten leidenschaftlich gern und häufig miteinander. Während Burrard sich auf seinen Instinkt verließ und damit oft erfolgreich war, berechnete Totton seine Gewinnchancen sehr genau.
    In gewisser Weise war für Totton das ganze Leben eine Wette. Man kalkulierte die Möglichkeiten wie bei jedem Geschäft. Selbst große historische Ereignisse waren in seinen Augen nur eine Reihe von Wetten, die einmal so und einmal so ausgingen. Man brauchte dazu nur die Geschichte von Lymington zu betrachten. Zu Rufus’ Zeiten waren die Feudalherren noch mächtige normannische Adelige gewesen. Doch nach Rufus’ Tod im New Forest und der Thronbesteigung seines jüngeren Bruders Heinrich waren die Grundherren so leichtsinnig gewesen, Robert, Herzog der Normandie, zu unterstützen. Zur Strafe hatte der König dieser Familie Lymington und weitere Ländereien abgenommen und sie einer anderen Familie übertragen. In den darauf folgenden drei Jahrhunderten war der Titel durch Erbfolge weitergegeben worden – bis die Familie sich während der Rosenkriege auf die Seite des Hauses Lancaster schlug. Im Jahre 1461 wandte sich das Blatt, als die Anhänger des Hauses Lancaster eine wichtige Schlacht verloren. Daraufhin hatte der neue König, ein Mitglied des siegreichen Hauses York, den Grundherrn köpfen lassen. Inzwischen herrschte wieder eine andere Familie über Lymington.
    Selbst die bürgerliche Familie Totton war an diesem gewaltigen Glücksspiel beteiligt gewesen. Kaufmann Totton hegte insgeheim großen Stolz, dass sein Lieblingsonkel zum Gefolgsmann des edelsten Abenteurers überhaupt geworden war. Bei diesem Herrn handelte es sich um den Earl von Warwick, der wegen seiner Fähigkeit, die Seite, für die er sich entschieden hatte, stets zum Sieg zu führen, auch »Königsmacher« genannt wurde. »Jetzt bin ich Freisasse«, sagte der Onkel beim Abschied zu Henry, »doch zurückkommen werde ich vielleicht als Adeliger.« Wer dem mächtigen Königsmacher diente, hatte große Aussichten, sein Glück zu wenden. Vor neun Jahren aber, kurz nach Ostern, hatte sich eine neue Nachricht wie ein Lauffeuer im New Forest verbreitet: »Es hat wieder eine Schlacht gegeben. Der Königsmacher ist gefallen. Die Witwe hat in Beaulieu Schutz gesucht.« Auch sein Lieblingsonkel war also ums Leben gekommen. Henry Totton hatte das zwar sehr bedauert, doch er sah es nicht als Tragödie oder Grausamkeit des Schicksals. Sein Onkel hatte eine Wette abgeschlossen und verloren. Mehr war nicht dabei.
    Dank dieser Haltung konnte Henry allen Widrigkeiten mit Ruhe und Gelassenheit begegnen, was er selbst als seine Stärke ansah. Seine Frau hingegen hielt es für ein Zeichen von

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