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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Nachkomme des damaligen. Ich glaube, man wird Jagd auf ihn machen. Also solltest du ihn dir rasch noch ansehen.«
    »Wirklich?« Jonathan starrte ihn entgeistert an. »Ist er denn nicht gefährlich?«
    »Ja, aber der letzte wurde ja auch getötet. Bestimmt ist er im Flug ein gewaltiger Anblick.«
    Lächelnd schüttelte Henry Totton den Kopf. »Du gehst jetzt besser nach Hause«, sagte er freundlich und küsste seinen Sohn. Also machte sich Jonathan gehorsam auf den Heimweg.
    Henry Totton selbst hatte den Drachen längst vergessen, als er nach Hause zurückkehrte.
     
     
    Kurz nach Morgengrauen brachen sie auf. Willie hatte schon am Vortag, gleich als er es erfuhr, loslaufen wollen, aber Jonathan hatte ihn darauf hingewiesen, dass sie einen ganzen Tag Zeit brauchten. Schließlich war es bis nach Bisterne, wo der Drache lebte, hin und zurück ein Fußmarsch von jeweils achtzehn Kilometern.
    »Ich gehe zu Willie, bis es dunkel wird«, sagte Jonathan zur Köchin und machte sich rasch aus dem Staub, bevor jemand weiter nachfragen konnte.
    Es war zwar ein weiter Weg, doch kein sonderlich beschwerlicher. Das Gut Bisterne lag im südlichen Teil des Avontals zwischen Ringwood und Christchurch. Also mussten die beiden Jungen nur die Westhälfte des New Forest durchqueren und an seinem Südrand entlanggehen, um das Tal zu erreichen. Da sie früh losgezogen waren, würden sie selbst zu Fuß noch am Vormittag ankommen und erst am späten Nachmittag umkehren müssen.
    Willie erwartete Jonathan oben an der Straße. Da sie nicht von Erwachsenen aufgehalten werden wollten, nahmen sie rasch den Weg, der durch die Felder und Wiesen von Old Lymington führte, und passierten schon nach einer halben Stunde das Gut Arnewood zwischen den Dörfern Hordle und Sway.
    Es war ein klarer, sonniger Morgen, der einen warmen Tag verhieß. Die Landschaft westlich von Lymington bestand aus kleinen Feldern, Hecken und Eichen in einem hügeligen Gelände. An den Zweigen zeigten sich bereits die ersten hellgrünen Blätter; eine leichte Brise wehte die weißen Blüten der Hecken über den Weg. Sie kamen an einem gepflügten Feld vorbei, in dessen Furchen eine flügelschlagende Horde Möwen pickte.
    Jeder, der in Lymington Bescheid wusste, hätte die beiden Jungen sofort erkannt, die da am Gut Arnewood vorbeigingen, denn sie waren ihren Vätern wie aus dem Gesicht geschnitten. Dass der eine Junge an den ernsten Kaufmann erinnerte, während der andere die fröhlichen Züge seines Vaters hatte, wirkte fast komisch. Eine Stunde später hatten sie Lymington weit hinter sich gelassen. Sie erreichten einen schmalen Pfad, der durch den Wald führte. Zwischen verkrüppelten Eschen und Birken bahnten sie sich ihren Weg zur offenen Heide.
    »Glaubst du, der Drache kommt bis hierher?«, fragte Willie.
    »Nein«, erwiderte Jonathan. »Ganz bestimmt nicht.« Er hatte seinen Freund noch nie ängstlich erlebt. Und er wollte genauso mutig sein.
    Anderthalb Stunden lang gingen sie auf dem federnden Boden weiter. Sie hatten fast sieben Kilometer am Rand der Heide zurückgelegt, als sie bei der großen Anhöhe namens Shirley Common ankamen. Oben am Gipfel blieben sie stehen.
    Unter ihnen erstreckte sich das Avontal.
    Hier war die Vegetation üppiger. Zuerst kam eine kleine Wiese, wo der Farn bereits geschnitten war und wo nun einige Ziegen grasten. Dahinter lagen Eichen- und Birkenwälder und weitere Felder, die in anmutigem Schwung die Hügel hinunter verliefen. Unten im Tal befanden sich die saftig grünen Wiesen an den breiten Ufern des Avon, dessen silbriges Wasser hie und da verlockend funkelnd durch die Bäume zu sehen war. Schon auf den ersten Blick war klar, dass sich diese Landschaft vorzüglich für Ritter und ihre Damen eignete, aber auch für Drachen.
    Im Norden, etwa drei Kilometer jenseits einer braunen, baumlosen Heide, lag im dunklen Wald das Dorf Burley.
    »Ich glaube, wir werden den Drachen bald sehen«, sagte Jonathan und blickte zu seinem Freund. »Fürchtest du dich?«
    »Du etwa?«
    »Nein.«
    »Wo lebt der Drache eigentlich?«, fragte Willie.
    »Da drüben.« Jonathan zeigte auf den lang gestreckten Hügel von Burley, wo im Norden der Castle Hill aufragte. Die Anhöhe wurde inzwischen Burley Beacon genannt.
    »Oh.« Willie blickte hin. »Das ist aber ziemlich nah«, meinte er.
     
     
    Wahrscheinlich war es ein Wildschwein gewesen. Ein Einzelgänger. Mittlerweile gab es nur noch wenige Wildschweine in England, da sie durch die Jagd fast vollständig

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