Der Wald der Könige
guten Menschenkenner hielt, zugeben, dass ihn die Angelegenheit an sich in Erstaunen versetzte. Aber er rechnete eigentlich nicht mehr mit einer weiteren Überraschung, bis Willie auf ihn zukam und ihn fragte: »Kennst du Richard Albion, Vater?«
»Ja, mein Sohn.«
»Wir haben ihn heute bei Buckland Rings getroffen. Er hatte vor, auf das Rennen zu wetten. Darauf, dass du verlierst. Aber niemand wollte einschlagen, denn alle hatten ihr Geld schon verwettet.«
»Oh.« Alan zuckte die Achseln.
»Rate mal, wie viel er setzen wollte, Vater.«
»Ich weiß nicht, mein Sohn. Sag es mir.«
»Fünf Pfund.«
Fünf Pfund. Noch eine Wette über fünf Pfund! Verblüfft schüttelte Seagull den Kopf. Also war noch jemand bereit, eine hohe Summe darauf zu setzen, dass er verlor. Auch wenn fünf Pfund für Albion vermutlich nicht viel bedeuteten, für den Seemann war es ein kleines Vermögen. Nachdem sein Sohn ins Haus gelaufen war, saß Seagull noch lange da, starrte aufs Wasser hinaus und überlegte.
Es war gerade dunkel geworden, als Jonathan die Schritte seines Vaters auf der Empore hörte.
Bis kurz vor ihrem Tod, als sie nicht mehr hatte aufstehen können, war Jonathans Mutter stets an sein Bett gekommen, um ihm einen Gutenachtkuss zu geben. Manchmal hatte sie sich eine Weile zu ihm gesetzt und ihm eine Geschichte erzählt. Und bevor sie ging, sprach sie stets mit ihm ein kurzes Gebet. Ein paar Tage nachdem sie gestorben war, hatte Jonathan seinen Vater gefragt: »Wirst du mir von nun an gute Nacht sagen?«
»Warum, Jonathan?«, hatte Totton entgegnet. »Du fürchtest dich doch nicht etwa vor der Dunkelheit?«
»Nein, Vater.« Unsicher hielt Jonathan inne. »Aber Mutter hat es immer gemacht.«
Seitdem brachte Totton seinen Sohn an den meisten Abenden zu Bett. Während der Kaufmann die Stufen hinaufging, überlegte er meist, worüber er mit Jonathan sprechen sollte. Sollte er ihn fragen, was er heute in der Schule gelernt hatte? Oder sollte er ihm von einem wichtigen Ereignis in der Stadt erzählen? Dann trat er ins Zimmer, stand still an der Tür und betrachtete seinen Sohn, der in seinem Bettchen lag.
Und wenn Totton nichts einfiel, was er sagen konnte, schwieg Jonathan einen Moment und murmelte dann: »Danke, dass du gekommen bist, Vater. Gute Nacht.«
An diesem Abend jedoch hatte Jonathan eine Ansprache vorbereitet. Den ganzen Nachmittag lang hatte er darüber nachgedacht. Und als sein Vater in der Tür erschien und ihn stumm ansah, ergriff er das Wort. »Vater.«
»Ja, Jonathan.«
»Ich muss nicht unbedingt mit Seagull mitfahren. Wenn es dir lieber ist, segle ich auf deinem Boot.«
Zunächst antwortete sein Vater nicht. »Es geht nicht darum, was mir lieber wäre, Jonathan«, sagte er schließlich. »Du hast deine Entscheidung getroffen.«
»Ich könnte es mir doch anders überlegen, Vater.«
»Wirklich? Das finde ich nicht.« Tottons Stimme klang ein wenig kühl. »Außerdem hast du deinem Freund schon versprochen, dass du mitkommst.«
Der Junge begriff. Er ahnte, dass er seinem Vater wehgetan hatte und dass dieser sich nun durch Unnahbarkeit und Zurückweisung rächte. Inzwischen tat es ihm Leid, ihn gekränkt zu haben. Und er befürchtete, seine Liebe zu verlieren, denn schließlich hatte er niemanden außer ihm. Wenn er es ihm nur nicht so schwer gemacht hätte!
»Er hat gewiss Verständnis, Vater. Ich würde lieber auf deinem Schiff mitfahren.«
Das stimmt nicht, dachte der Kaufmann, aber er sagte: »Du hast ihm dein Wort gegeben, Jonathan, und das musst du halten.«
Dann sprach Jonathan die zweite Frage an, die ihn schon den ganzen Tag beschäftigte. »Vater, du erinnerst dich doch noch an unser Gespräch im Salzgarten. Du hast mir gesagt, ich dürfe mein Versprechen nicht brechen, wenn ich Stillschweigen geschworen hätte.«
»Ja.«
»Nun… Ich erzähle dir jetzt etwas, und ich bitte dich, es geheim zu halten. Aber ich verrate dir nicht alles, denn in diesem Fall würde ich das andere Geheimnis preisgeben… Wäre das in Ordnung?«
»Möchtest du mir etwas anvertrauen?«
»Ja.«
»Ein Geheimnis?«
»Doch es muss unter uns bleiben, Vater. Weil du mein Vater bist«, fügte er hoffnungsvoll hinzu.
»Ich verstehe. Also?«
»Na ja…« Jonathan geriet ins Stocken. »Vater, ich glaube, du wirst dieses Rennen verlieren.«
»Warum?«
»Das darf ich dir nicht sagen.«
»Aber du bist sicher?«
»Ziemlich sicher.«
»Und du hast mir sonst nichts mehr mitzuteilen, Jonathan?«
»Nein,
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