Der Wald der Könige
er. »Also wirst du dich schon nicht verirren.«
»Also vielleicht bis später.« Warum empfand sie bei dieser Lüge eine solche Freude und Aufregung? Noch nie hatte sie so etwas getan, und es passte gar nicht zu ihr, einen anderen Menschen zu täuschen. Gleichzeitig fühlte sie sich, als würde sie schweben. Nachdem sie sich mit einem Kuss verabschiedet hatte, kehrte sie zum Rufusbaum zurück.
Dennoch zitterte sie, als sie in den Wagen stieg. Wortlos nahm Puckle die Zügel, stupste das Pony mit der Peitsche an, und sie fuhren los. Was tat sie da? Hatte sie etwa vor, Nick mit Puckle zu betrügen? Bedeutete das, dass sie sich von ihrer Familie und ihrem früheren Leben lossagte, um Puckles Frau zu werden? Sie wusste es nicht.
Als der Wagen die offene Heide erreichte, stand vor ihnen tiefrot die untergehende Sonne. Die Strahlen beleuchteten Puckles Gesicht, sodass es seltsam gelblich, ja, fast dämonisch wirkte, während sie weiter gen Westen fuhren. Bei diesem Anblick lachte Jane leise auf. Und als die Sonne sank und es auf der Heide dunkel wurde, lehnte sie sich zu ihm hinüber, und er legte zum ersten Mal tröstend den Arm um sie. Vor ihnen lag ein verbotenes Geheimnis.
Bei ihrer Ankunft stand die Hütte still im bleichen Mondlicht. Die Kinder waren nicht da. Vermutlich hatte er sie für diese Nacht bei irgendwelchen Verwandten untergebracht. Im Haus zündete er mit der Glut aus dem Herd eine Kerze an, brachte sie nach oben und stellte sie auf die Truhe, sodass das seltsame Eichenbett in ihrem Licht vertraut und anheimelnd wirkte. Die Überdecke war zurückgeschlagen.
Nachdem er das Hemd ausgezogen hatte, legte Jane die Hände auf sein dichtes, dunkles Brusthaar und betastete es staunend. Sein Gesicht mit dem kurzen Spitzbart sah im Kerzenlicht plötzlich dreieckig aus wie das eines Waldtiers. Sie war nicht sicher, was sie nun tun sollte, doch er hob sie sanft hoch und legte sie aufs Bett. Als sie seine kräftigen Arme um sich spürte, schwindelte ihr. Und als er sich zu ihr legte, bemerkte sie, dass er so hart und kräftig war wie das Eichenbett selbst. Lange Zeit streichelte und liebkoste er sie, bis sie sich fühlte, als habe sie sich auf wundersame Weise in eines der so kunstvoll geschnitzten Geschöpfe verwandelt, die sich um die Bettpfosten schlängelten. Obwohl sie einmal vor Schmerz aufschrie, konnte sie sich später kaum daran erinnern, wann das gewesen war, in jener Nacht, in der sie ein Zauber mit dem Wald vereint hatte.
Während sie schlief, bemerkte sie nicht, dass kurz vor Morgengrauen die Signalfeuer an der Küste angezündet worden waren. Sie verkündeten, dass man die Armada gesichtet hatte.
Don Diego gähnte und biss sich auf die Fingerknöchel. Er durfte nicht einschlafen, sondern musste seine Pflicht erfüllen. Es ging um seine Ehre.
Aber er war so unbeschreiblich müde. Seit der Einfahrt der spanischen Armada in den Ärmelkanal und dem Anzünden der Signalfeuer waren sechs Tage vergangen. Sechs anstrengende Tage, die Don Diego das Äußerste abverlangt hatten. Und dennoch hatte er Glück gehabt. Denn seine – wenn auch entfernte – Verwandtschaft mit dem Herzog von Medina Sidonia, der nun die gesamte Armada befehligte, hatte ihm einen Platz auf dem Flaggschiff gesichert. Und von diesem ausgezeichneten Beobachtungsposten hatte er alles gut im Blick.
In den ersten Tagen hatte die Lage sehr viel versprechend ausgesehen. Als sie die südwestliche Spitze des Inselkönigreichs umfahren hatten, war ein vorwitziges englisches Fischerboot aufgetaucht, hatte die gesamte Flotte umrundet und die spanischen Schiffe gezählt, um dann wieder zu verschwinden. Eines der spanischen Schiffe hatte sich vergeblich an die Verfolgung gemacht, doch der Herzog hatte nur gelächelt. »Soll es losfahren und den Engländern berichten, wie stark wir sind, meine Herren«, verkündete er. »Je mehr Angst sie haben, desto besser.«
Als sie am nächsten Tag langsam nach Plymouth segelten, erfuhren sie, dass der Wind die englische Flotte im Hafen von Plymouth fest hielt. Auf dem Flaggschiff wurde Kriegsrat einberufen, und bald wusste Don Diego, was dort besprochen worden war.
»Zerschlagt sie. Nehmt den Hafen ein und benutzt ihn als Stützpunkt«, drängten die kühneren Kapitäne. Und Don Diego erschien dieser Rat sehr weise.
Allerdings vertrat sein adeliger Verwandter eine andere Auffassung. »König Philipps Befehle sind eindeutig«, widersprach er. »Wir gehen keine unnötigen Risiken ein, solange es
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