Der Wald der Könige
Grübeln.
Während er den Spanier bat, sitzen zu bleiben, stand er selbst auf und ging zum Rand der Klippe. Die Galeone saß auf der Sandbank fest und würde sich nicht mehr von der Stelle rühren. Nicht einmal die Flut konnte sie wieder flottmachen. Während er zu dem gestrandeten Schiff hinüberblickte, ging im Osten über dem New Forest silbrig die Morgensonne auf.
Er drehte sich zu Don Diego um. Welch eine seltsame Fügung des Schicksals, dass er dem Spanier nach so vielen Jahren unter solchen Umständen begegnet war. Überdies fand er den Mann sogar sympathisch. Das machte die ganze Sache noch komplizierter. Albion seufzte.
Er überlegte gründlich und dachte an seine Schwester, an sich selbst, an Don Diego und dessen Glauben an die katholische Sache, an seine Mutter, an den Rat, an Gorges, der gegen ihn, Albion, schon einen gewissen Verdacht hegte. Und er machte sich eingehende Gedanken über das Silber, das der Angelegenheit einen gewissen Reiz verlieh. Und so nahm nach einer Weile ein Plan Gestalt an, welcher Albion, als er das Für und Wider gegeneinander abwog, durchführbar erschien. Stumm blickte er der aufgehenden Sonne entgegen.
Da sah er sie. Sie ritt allein über den Hügel bei Lymington. Ihr schwarz-scharlachroter Mantel wehte hinter ihr her. Der Hut war ihr verrutscht. Sie wirkte gespenstisch, wie eine Hexe zu Pferde, sodass er fast glaubte, sie könne jeden Moment über die Felskante hinausgaloppieren und sich in die Lüfte erheben. Im gleichen Augenblick wurde er von einer kalten Furcht ergriffen: Und wenn sie ihn und Don Diego hier entdeckte?
Erschrocken warf er sich zu Boden, während der Spanier ihn nur erstaunt betrachtete. Mit einer Handbewegung bedeutete er ihm, still zu sein, und spähte über das Grasbüschel hinweg, hinter dem er sich verborgen hatte. Lady Albion war noch immer dort oben. Doch sie hatte ihn nicht bemerkt. Sie war stehen geblieben und starrte auf das Meer hinaus. Nachdem er sie eine Weile beobachtet hatte, robbte er zu dem Spanier zurück.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Don Diego verdattert.
»Ja.« Albion bedachte seinen Schwager, den er eben erst kennen gelernt hatte, mit einem liebevollen Blick. Es war ein Jammer, dass ihm nichts anderes übrig blieb. »Ich muss dir etwas zeigen, Bruder«, sagte er leise und zog sein Schwert. »Hier auf der Klinge. Schau.«
Don Diego beugte sich vor.
Und da durchbohrte Albion ihn mit dem Schwert.
Wenigstens beinahe. Denn die Spitze der Waffe blieb an der Goldkette unter dem Hemd des Spaniers hängen. Während Don Diego einen Schrei ausstieß und erstaunt die Augen aufriss, musste Albion schweren Herzens ein paarmal zustoßen, bis es endlich vorbei war.
Er verharrte, bis Don Diego sein Leben ausgehaucht hatte und reglos dalag, nahm ihm die fast zwei Kilogramm schwere Goldkette ab und bedeckte die Leiche so gut wie möglich mit Erde, bevor er sich zu seinem Pferd begab. Zum Glück war seine Mutter inzwischen verschwunden. Wahrscheinlich versucht sie wieder, in Lymington einen Aufstand anzuzetteln, dachte er finster.
Er warf einen Blick zurück auf die Stelle, wo er Don Diego begraben hatte. Natürlich nagten Schuldgefühle an seinem Herzen. Doch manchmal war es schwer zu sagen, was falsch und was richtig war. Es ging ums Überleben. So war nun einmal die Natur.
Er musste sich beeilen. Es gab eine Menge zu tun.
»Silber? Bist du sicher?«
Er war mit Gorges und Helena allein in dem großen Raum in Hurst Castle. Sie hatten ihn eine Weile warten lassen, während er über den Solent hinausgeblickt hatte.
»Ich habe ihn eindringlich und mit gezücktem Schwert befragt. Ich glaube, er sagte die Wahrheit.«
»War dieser Spanier allein?«, erkundigte sich Gorges.
»Das behauptete er wenigstens. Er hat versucht, das Schiff zu versenken, und ist versehentlich an Bord zurückgelassen worden. Und ich habe außer ihm niemanden gesehen«, fuhr Albion fort. »Also denke ich, dass es stimmt. Von uns abgesehen weiß kein Mensch von dem Silber. Ich bin sofort zu euch gekommen.«
»Du hast den Spanier getötet?« Die Zweifel standen Gorges ins Gesicht geschrieben.
»Er hat mich plötzlich mit dem Schwert angegriffen. Ich hatte keine andere Wahl.«
»Sollten wir nicht die Leiche holen?«, schlug Helena vor.
Eine lange Pause entstand, während die beiden Männer eindringliche Blicke wechselten.
»Vielleicht besser nicht«, erwiderte Albion.
»Das Wrack«, sagte Gorges streng, »ist Eigentum der Königin. Daran gibt es nichts zu
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