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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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aus. »Das ist ja Hurst Castle!«
    In der Tat. Das große Landhaus, das Gorges Longford Forest nannte, war ein detailgetreuer Nachbau der Festung an der Küste. In Erinnerung an das spanische Schiff mit seiner Ladung aus Silber hatte Gorges über dem Eingang eine Abbildung von Neptun anbringen lassen, der sich, den Dreizack lässig über der Schulter, in einem Schiff ausruhte. Zu beiden Seiten befand sich eine Karyatide, eine mit Gorges’ Gesicht, die andere mit dem seiner Frau.
    »Helena behauptet, alle schwedischen Schlösser seien dreieckig, und die Schnitzereien stellten ihre Vorfahren, die Wikinger, dar«, meinte er augenzwinkernd.
    Ganz gleich, ob es sich nun um ein schwedisches Schloss oder um eine Festung handelte, das riesige, dreieckige Gebäude würde wohl für lange Zeit eines der ausgefallensten Landhäuser Englands bleiben.
    Auch wenn Albion später hin und wieder ein wenig neidisch auf das Glück seines adeligen Freundes war, musste er zugeben, dass seine Loyalität dank Thomas und Helena nie wieder in Frage gestellt wurde. So konnte er im Laufe der Jahre auch weiterhin eine beträchtliche Menge Holz aus dem Besitz Ihrer Majestät abzweigen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu empfinden.
     
     
    Als die Heirat von Jane und Puckle bekannt wurde, verstanden Nick Pride und auch alle anderen die Welt nicht mehr. »Hätte ich nicht oben in Malwood am Signalfeuer gesessen, wäre das nie passiert«, sagte er.
    »Wenn sie so etwas tut«, meinte seine Mutter, »sei froh, dass du sie los bist.«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Nick. »Vielleicht stand sie ja unter einem Zauber.« Doch das war eine ziemlich alberne Bemerkung.
    Auch Janes Eltern waren nicht sehr erfreut. Janes Mutter wollte ihr nicht einmal wie versprochen das kleine Holzkreuz zur Hochzeit schenken. Aber da sie kein Interesse hatte, sich völlig mit ihrer Tochter zu überwerfen, gab sie es ihr schließlich doch. Jane trug es als Talisman.
     
     
    Der große Sturm, dem die Armada zum Opfer fiel, veränderte nicht nur das Leben der Menschen; hie und da hatte er auch Einfluss auf den New Forest.
    Es war spät in der Nacht. Die spanischen Galeonen taumelten hilflos über die Nordsee, als ein ungewöhnlich heftiger Windstoß durch den Hain fuhr, wo auch der Rufusbaum stand. Die Äste des großen Baumes bogen sich und erzitterten. Die vielen Lebewesen klammerten sich fest oder verkrochen sich tiefer in ihren Verstecken. Winzige Insekten wurden in wildem Durcheinander in die Dunkelheit geweht. Ringsum schwankten die hohen Bäume, Blätter und Eicheln raschelten, als der Wind sie durchfuhr.
    Doch die Wurzeln des Wunderbaums waren so ausladend wie seine Äste. Auch wenn sich die Welt oberhalb des Erdbodens in dieser sturmdurchtosten Nacht, in der die Armada ihr Ende fand, der zerstörerischen Gewalt kaum erwehren konnte, spürte man unterirdisch nichts vom wilden Schwanken der Äste.
    Ganz in der Nähe jedoch wuchs eine andere Eiche. Sie war erst zweihundert Jahre alt und stand – hoch und schmal – dicht inmitten von Artgenossen und Buchen. Deshalb waren ihre Krone und auch ihre Wurzeln viel kleiner.
    Und so gelang es dem tosenden Wind, die Eiche mit einem gewaltsamen Ruck aus dem Boden zu reißen, sodass sie krachend mitten durch ihre Nachbarn stürzte und wie ein gefällter Riese zu Boden fiel.
    Eine entwurzelte Eiche ist ein erschütternder Anblick, doch auch sie trägt zum Leben des Waldes bei. Die zersplitterte Krone und die vielen, ineinander verschlungenen Äste ragen wie ein schützender Zaun in die Höhe und geben in den nächsten Jahren vielleicht einem Schössling die Gelegenheit zu wachsen, ohne dass Hirsche oder andere Pflanzenfresser ihn vernichten können.
    Dem Sturm jener Nacht fielen zwei Bäume zum Opfer. Und im folgenden Herbst, nach so vielen Jahren, in denen ihr Samen verschwendet worden war, landeten zwei Eicheln der Wundereiche innerhalb dieser natürlichen Einfriedung, schlugen Wurzeln und begannen zu wachsen.



ALICE
     
     
     
    1635
     
    Was ist das Leben? Ganz gewiss keine Abfolge von Ereignissen im Uhrzeigersinn, sondern eher ein Sammelsurium von Erinnerungen – von einigen wenigen zumindest.
    Sie hatte den alten Clement Albion noch undeutlich im Gedächtnis. Obwohl sie beim Tod ihres Großvaters erst vier gewesen war, erinnerte sie sich an ihn. Nicht an sein Gesicht, aber an einen hoch gewachsenen, freundlichen Mann, der in einem Tudorhaus mit großen, hölzernen Giebeln wohnte. Das musste das alte Haus Albion

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