Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
Gedankenlosigkeit der Stuarts schaffte er es, ein ganzes ihm eigentlich wohlgesonnenes Volk gegen sich aufzubringen. Er war weder ein Schurke noch ein Märtyrer, sondern einfach nur ein ausgesprochen alberner, kleinlicher Herrscher.
    Nun musste jeder Häusler die Gewohnheitsrechte eintragen lassen, die er von alters her besaß. In Prides Augen handelte es sich um sinnlosen Papierkrieg. Doch Alice dachte weiter.
    »In London heißt es«, hatte ihr Vater ihr am Vortag erklärt, »dass der König ein Kataster der gesamten Gegend anlegen möchte. Und weißt du warum? Er will den New Forest und den Sherwood Forest als Bürgschaften für einen Kredit einsetzen! Kaum zu fassen«, fuhr er fort, »vielleicht wird der ganze Wald verkauft, nur um die Gläubiger des Königs zufrieden zu stellen. Meiner Ansicht nach ist das der Grund, der dahinter steckt.«
    Als Stephen Pride mit seiner kurzen Aufzählung fertig war, dankte Alice ihm höflich und fragte dann: »Wo ist denn Gabriel Furzey? Sollte er nicht auch kommen?«
    »Mag sein«, erwiderte Pride wahrheitsgemäß.
    »Nun.« Alice war zwar erst achtzehn, aber sie wollte sich von Gabriel nicht auf der Nase herumtanzen lassen. »Dann richtet ihm bitte von mir aus, dass er besser sofort erscheinen sollte, wenn er Wert darauf legt, dass ich seine Gewohnheitsrechte eintrage. Sonst muss er eben darauf verzichten.«
    Pride konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen, als er loszog, um die Botschaft zu überbringen.
    Schon auf den ersten Blick war Gabriel Furzey und Stephen Pride anzumerken, welche Haltung sie zu dieser Inventur einnahmen. Der hagere, scharfäugige Pride war vom Scheitel bis zur Sohle ein Freigeist, wusste aber, dass er sich dem Zugriff der Mächtigen nicht völlig entziehen konnte. Obwohl schon seine Vorfahren darüber gemurrt hatten, dass die Macht der Krone nicht vor dem New Forest endet, waren die Prides schlau und vernünftig genug gewesen, sich mit ihr zu arrangieren. Zu den Vertretern der Dorfgemeinschaften beim Grafschaftsgericht gehörten stets ein oder zwei Prides. Hin und wieder übernahmen sie sogar einen untergeordneten Posten in der Verwaltung des New Forest, zum Beispiel als Unterförster oder als Viehinspektor, der die Weidegebühren einsammelte. Hie und da hatte es ein Mitglied dieser Sippe sogar vom Häusler zum Freisassen und Grundbesitzer geschafft. Wenn die adeligen Herren einen Freisassen für den Geschworenendienst suchten, entschieden sie sich gern für einen Pride. Und zwar aus einem einfachen Grund: Die Mitglieder dieser Familie waren gescheit, und die Mächtigen wussten, dass man selbst im Fall von Meinungsverschiedenheiten mit einem klugen Mann eher Einigkeit erzielte als mit einem Dummkopf.
    Und falls ein wohlmeinender Mensch die Anmerkung fallen ließ, dass Pride vielleicht nebenbei ein wenig gewildert habe, erhielt er zur Antwort meist nur ein Lächeln und ein hingemurmeltes: »Ist es denn die Möglichkeit!« Auf Dank konnte der Judas lange warten, denn meist frönte der adelige Empfänger dieser Nachricht selbst diesem Steckenpferd.
    Der kleinwüchsige, pummelige Gabriel Furzey hingegen – Alice pflegte ihn ungnädig mit einer bärbeißigen Rübe zu vergleichen – stand mit der ganzen Welt auf Kriegsfuß. Als Stephen Pride ihm jetzt mitteilte, dass Alice ihn sprechen wolle, schüttelte er nur den Kopf und sagte: »Was für einen Sinn hat es, so etwas aufzuschreiben? Ich kenne meine Rechte. Wir hatten sie doch schon immer, oder etwa nicht?«
    »Das stimmt. Aber…«
    »Was sonst noch? Es ist doch bloß Zeitverschwendung.«
    »Trotzdem, Gabriel. Ich finde, du solltest besser hingehen.«
    »Nein, ich gehe nicht.« Gabriel schnaubte verächtlich. »Ich habe es nicht nötig, mir von einem Mädchen sagen zu lassen, welche Rechte ich habe. Verstanden?«
    »Sie ist doch recht nett, Gabriel. Außerdem hat sie gar nichts damit zu tun.«
    »Sie hat mir doch befohlen zu kommen, richtig?«
    »Wenn du es so ausdrückst.«
    »Und deshalb gehe ich nicht hin.«
    »Aber Gabriel…«
    »Und du kannst auch verschwinden!«, polterte Furzey plötzlich. »Hau ab…«
    Also machte Stephen Pride sich davon, und kurz darauf brach auch Alice auf. Aus diesem Grund wurden Gabriels Gewohnheitsrechte nirgends festgehalten.
    Es schien nicht weiter wichtig.
     
     
    1648
     
    Es war Dezember. Der Morgen graute, und es wehte ein kalter Wind.
    Auf dem Hügel bei Lymington saß ein einsamer Reiter auf einem Grauschimmel. Er war über vierzig und gut aussehend, obwohl sein

Weitere Kostenlose Bücher