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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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berüchtigte Schwerenöter mochten dem Familienstammbaum vielleicht einen Hauch des Verruchten verleihen, aber man durfte es nicht übertreiben. Schlechtes Blut bedeutete Gefahr, Ungewissheit, Missernten, kranke Bäume. Da der niedere Adel noch immer zum Teil von der Landwirtschaft lebte, sah er die Dinge prosaisch. Menschenzucht und Viehzucht unterschieden sich eigentlich kaum voneinander. Schlechtes Blut setzte sich immer durch, und deshalb musste man einen Bogen um Leute von zweifelhaftem Ruf machen.
    Doch zu Alices Überraschung lächelte ihr Vater nur. »Ah«, verkündete er. »Jetzt will ich dir einmal etwas erklären.« Und mit einem Blick, der wohl besagen sollte, dass er über jahrzehntelange Erfahrung als Anwalt verfügte, fuhr er fort: »Wenn der Vater eines Mannes sein Vermögen verspielt hat, stehen dem Betroffenen zwei Wege offen. Entweder kann er sich mit seiner misslichen Lage abfinden, oder er kann sich dagegen auflehnen und versuchen, dennoch sein Glück zu machen.«
    »Ist das nicht immer die Aufgabe der jüngeren Söhne?«
    »Ja.« Die Stirn ihres Vaters umwölkte sich, als er daran dachte, wie kläglich sein eigener Bruder in dieser Hinsicht gescheitert war. »Doch wenn ein Vater zusätzlich seine Familie entehrt, ist die Sache um einiges schwieriger. Der Sohn eines solchen Mannes muss nicht nur Armut ertragen, sondern auch Schande und Spott. Auf Schritt und Tritt verfolgen ihn die Schatten der Vergangenheit. Viele verstecken sich deshalb und leben lieber im Verborgenen. Aber die Tapferen unter ihnen stellen sich der Welt. Sie tragen den Kopf hoch erhoben; ihr Ehrgeiz ist eher mit einem stählernen Schwert zu verteidigen als mit der Flamme der Hoffnung. Sie streben nach Ruhm, erstens um ihrer selbst Willen und zweitens, um die Fehltritte ihres Vaters ungeschehen zu machen. Diese Erinnerung lastet ständig auf ihnen und treibt sie an wie ein Stachel.« Lächelnd hielt er inne. »Ich glaube, dass John Lisle ein solcher Mann ist. Er ist ein anständiger und aufrichtiger Mensch, und ich bin sicher, dass er auch gütig ist. Aber er hat dieses Feuer in sich.« Er betrachtete Alice liebevoll. »Wenn ein kluger Vater sein Vermögen seiner Tochter vermacht, sucht er ihr einen Mann, der es auch zu nutzen versteht. Einen Mann mit Ehrgeiz.«
    »Warum nicht einen anderen Erben, Vater? Ein ehrgeiziger Mann hat es vielleicht nur auf mein Geld abgesehen.«
    »Du musst meinem Urteil vertrauen.« Er seufzte. »Das Schlimme ist, dass die meisten Erben großer Vermögen entweder verweichlicht oder faul sind – oder beides.« Er lachte auf.
    »Warum lachst du?«, fragte sie.
    »Weil ich mir gerade vorgestellt habe, Alicia« – manchmal nannte er sie so –, »was geschehen würde, wenn ich ein starrsinniges Mädchen wie dich mit dem arglosen Erben eines großen Vermögens verheiraten würde. Du würdest dem armen Jungen das Leben zur Hölle machen.«
    »Ich?« Aufrichtig erstaunt sah sie ihn an. »Hältst du mich etwa für starrsinnig, Vater?«
    »Schon gut, mein Kind.« Er schmunzelte und tippte ihr leicht auf den Arm. »Aber überlege es dir mit John Lisle. Das ist alles, worum ich dich bitte. Du wirst feststellen, dass er Respekt verdient.«
     
     
    Als Stephen Pride zwei Tage später auf dem Weg zum Dorfanger bei Gabriel Furzey anklopfte, wollte er ihm eigentlich nur einen Gefallen tun. »Willst du denn nicht mitkommen?«
    »Nein«, erwiderte Gabriel, was Pride eigentlich nicht weiter erstaunte.
    Die Prides und die Furzeys waren in den dreihundert Jahren, die seit dem Streit um das Pony vergangen waren, in Oakley geblieben, und zwar aus dem einfachen Grund, dass es auf der Welt nur wenige hübschere Fleckchen Erde gab. Auch wenn sich die beiden Familien im Laufe der Jahrhunderte gewiss noch öfter über Alltäglichkeiten gezankt hatten, war das inzwischen vorbei und vergessen. Die Prides hielten die Furzeys noch immer für ein wenig langsam, während die Furzeys den Prides eine gewisse Hochnäsigkeit unterstellten. Aber ob diese Unterscheidungen noch zutrafen, nachdem die beiden Familien über Generationen hinweg einander geheiratet hatten, war fraglich. Doch über eines waren Stephen Pride und alle übrigen Dorfbewohner sich einig: Gabriel Furzey war unbeschreiblich stur.
    »Wie du willst«, meinte Stephen und begab sich zum Dorfanger, da die junge Alice Albion ihn hatte rufen lassen.
    An den Gewohnheitsrechten der Bewohner des New Forest hatte sich seit der Zeit des Eroberers kaum etwas geändert. Da die

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