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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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jeden Einzelnen von euch ebenfalls wegen Hochverrats anklagen kann?«
    Als sie das vierte Mal zurückkamen, erkannten sie auf schuldig.
    Der Richter verurteilte Alice zum Tod auf dem Scheiterhaufen.
     
     
    Der Raum war zwar klein, aber hell und sauber, sodass man die Gitterstäbe an den Fenstern kaum bemerkte. Es war noch Vormittag. Und es war ihnen zumindest eine kleine Gnade erwiesen worden, für die sie dankbar sein mussten.
    Denn Dame Alice würde nicht verbrannt werden. Der Bischof und die Geistlichkeit von Winchester hatten sich sofort an den König gewandt, da sie ein derart grausiges Schauspiel in der Domstadt unbedingt verhindern wollten. Außerdem befürchteten sie einen Aufstand – die Nachricht von dem schändlichen Prozess hatte sich nämlich wie ein Lauffeuer in der Stadt und im ganzen New Forest verbreitet. Also sollte Dame Alice Lisle heute geköpft werden.
    Nur Betty und Tryphena waren bei ihr, die anderen Familienmitglieder waren schon gegangen. Alice hatte sich von ihren Kindern und Enkeln verabschiedet. Es war still im Raum.
    Peter weilte in London. Betty hatte ihrer Mutter nichts von ihrer Verlobung erzählt, und seltsamerweise dachte sie in letzter Zeit nicht mehr so häufig an ihn. Wenn sie einander schon länger gekannt hätten, hätte sie ihn sich vielleicht zum Trost an ihre Seite gewünscht. Doch nun war sie so sehr mit ihrer Familie und dem bevorstehenden Grauen beschäftigt, dass alles andere daneben in Vergessenheit geriet.
    »Peter Albion.« Ihre Mutter hatte diese Worte ausgesprochen, und Betty sah sie erstaunt an. Alice lächelte. »Ich wollte nicht in Gegenwart der anderen über ihn sprechen.« Sie betrachtete Betty nachdenklich. »Möchtest du ihn immer noch heiraten?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte diese aufrichtig.
    Ihre Mutter nickte langsam. Tryphena blickte plötzlich auf und schien etwas sagen zu wollen, aber Alice fiel ihr ins Wort. »Ich habe meine Meinung über ihn geändert«, sagte sie ernst. »Dieser Prozess war eine wichtige Lektion für ihn.«
    »Aber er war doch eine Farce. Eine Ungeheuerlichkeit und ein Schlag ins Gesicht der Gerechtigkeit«, wandte Tryphena ein.
    »Genau deshalb wird er etwas daraus lernen«, entgegnete Alice. »Früher hielt ich Peter für ziemlich selbstgefällig. Nun hat er miterlebt, dass selbst das Recht im Interesse der Macht gebeugt wird. Er wird bescheidener werden.«
    »Da ist« – Betty zögerte, sah ihre Mutter und ihre Schwester an – »noch etwas anderes.«
    »Erzähl es mir.«
    Und so schilderte Betty ihr den Moment während des Prozesses, als Jeffreys die Geschworenen so unverfroren getäuscht und Peter ihr erklärt hatte, dass der Richter log. »›Das verstößt gegen das Gesetz‹, hat er gesagt, und ich habe ihn gebeten, Einspruch zu erheben.«
    »Du hast von ihm verlangt, dass er aufsteht und dem Richter widerspricht?«
    »Nun…« Sie wusste nicht, wie sie es ausdrücken sollte. Jedenfalls war sie, als sie später darüber nachgedacht hatte, mit seinem Verhalten nicht zufrieden gewesen.
    »Die anderen Richter haben geschwiegen, die Anwälte haben geschwiegen, und du hast auch geschwiegen«, erinnerte ihre Mutter sie spöttisch.
    »Ich weiß. Es tut mir Leid.«
    »Sei nicht albern, Kind. Du bist Zeugin geworden, wie der Mann, den du heiraten willst, Schwäche gezeigt hat. Er hat beschlossen, kein Held zu sein.« Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Mach nicht den Fehler, einen Traumprinzen zu suchen. Das tun Frauen in deinem Alter häufig. Du wirst ihn nie finden. Außerdem darfst du nicht vergessen, mein Kind, dass du auch vollkommen sein müsstest, wenn du einen vollkommenen Mann hättest.«
    »Aber…«
    »Hast du ihn für feige gehalten?«
    »Ja, ich denke schon.«
    »Ich würde es eher Klugheit nennen.«
    »Ich weiß, aber…« Betty war nicht sicher, wie sie es erklären sollte. Peter war im Gericht mit einem Mal verstummt. Und in diesem Augenblick hatte sie – weniger durch sein Betragen als aus ihrem tiefsten Inneren heraus – gespürt, was für ein Mensch er wirklich war. Er hatte Angst, er war berechnend, und trotz seiner großen Reden war er bereit, Kompromisse einzugehen. »Es ist etwas an seiner Art…«, meinte sie stockend.
    »Gott sei Dank«, seufzte Alice. »Vielleicht wird er so überleben.«
    »Aber mein Vater ist keine Kompromisse eingegangen. Er hat das getan, was richtig war.«
    »Gegen meine Wünsche. Um seinen Ehrgeiz zu befriedigen. Außerdem stand dein Vater auf der Seite der Sieger, und

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