Der Wald der Könige
Kavalkade die Umgebung von Winchester. Fünf Richter, einige Rechtsanwälte, der für seine Tüchtigkeit bekannte Henker Jack Ketch, Schreiber und Diener, also das ganze Gefolge, das nötig war, um im England Seiner Majestät König Jakobs II. Recht zu sprechen. Die mehr als zwölfhundert Männer, die das Pech gehabt hatten, wegen Beteiligung am Aufstand des Herzogs von Monmouth ergriffen zu werden, sollten allesamt gehängt, geköpft, verbrannt, ausgepeitscht oder in die Kolonien deportiert werden. An der Spitze dieses gewaltigen Aufgebots stand – wie angekündigt – kein Geringerer als der ehrenwerte oberste Richter George Jeffreys höchstpersönlich.
Der Prozess, der in Westengland stattfand, sollte dreihundertdreißig Männern das Leben kosten; achthundertfünfzig wurden in die amerikanischen Strafkolonien abgeschoben. Diese Veranstaltung ging als »Blutgericht« in die Geschichte ein; der Vorsitzende Richter verdiente sich den Beinamen »Bloody Jeffreys«. Doch zuvor wurde in der großen Halle von Winchester Castle das Vorspiel gegeben: der Prozess gegen Alice Lisle.
Als Betty sich in der großen steinernen Halle umsah – sie stammte noch aus der Zeit der normannischen Könige und der Herrscher aus dem Hause Plantagenet –, war sie wider Willen von deren Pracht beeindruckt. Durch die Spitzbogenfenster fiel weiches Nachmittagslicht in den Raum, der sie an eine Kirche erinnerte. Auf einem Podium thronten die fünf Richter mit ihren scharlachroten Roben und den langen weißen Perücken. Unter ihnen saßen – wie schwarze Krähen – die Anwälte und Schreiber. Auf den Zuschauerbänken drängte sich das Publikum. Und auf einer erhöhten Plattform hatte, still und ganz in Grau gekleidet, ihre Mutter auf einem Stuhl aus Eichenholz Platz genommen.
Betty war überzeugt, dass ihrer Mutter an diesem würdigen Ort inmitten von so vielen angesehenen und gelehrten Männern Gerechtigkeit widerfahren würde. Peter, der ihr jetzt die Hand drückte, hatte ihr die Gesetze erläutert, und sie war sicher, dass Alice freigesprochen werden würde. Sie lächelte Tryphena, die neben ihr saß, aufmunternd zu.
Eigentlich lag der Fall ganz einfach: Ihre Mutter hatte drei Männern ein Nachtlager angeboten. Einer von ihnen, der arme Dunne, war eigentlich ein Niemand. Der Prediger Hicks wurde zwar des Hochverrats bezichtigt, war aber noch nicht verurteilt worden. Nelthorpe, der Dritte im Bunde, galt als vogelfrei.
»Die Sache ist gefährlich«, hatte Peter ihr erläutert. »Denn es geht um Hochverrat. Wer einem flüchtigen Verbrecher unter gewöhnlichen Umständen Unterschlupf gewährt, macht sich der Mittäterschaft schuldig, ist aber für die Straftat selbst nicht verantwortlich. Bei Hochverrat hingegen liegen die Dinge anders. Wenn man einem bekanntermaßen des Hochverrats Verdächtigen hilft, wird man dadurch selbst zum Hochverräter. Deshalb schwebt deine Mutter in Gefahr. Allerdings«, fügte er hinzu, »wird der Ankläger beweisen müssen, dass deine Mutter von der Beteiligung dieser Männer an Monmouths Aufstand wusste. Nelthorpe war sie noch nie zuvor begegnet, man hatte ihr nichts über ihn erzählt. Außerdem wurde er ihr von Hicks, einem Geistlichen von Rang und Namen, ins Haus gebracht. Also hat sie nichts weiter getan, als einen ehrbaren Dissenter und dessen Freund für eine Nacht bei sich aufzunehmen und zwar nicht zum ersten Mal. War sie im Bilde darüber, dass es sich um Verräter handelte? Nein. Solange ihr niemand das Gegenteil nachweisen kann, werden die meisten Geschworenen im Zweifel für den Angeklagten entscheiden.« Er lächelte. »Meiner Ansicht nach hat sie kein Verbrechen begangen.«
»Sobald sie freigesprochen wird, Peter«, hatte Betty gesagt, »müssen wir feiern.«
Gleich am ersten Abend nach seiner Ankunft im New Forest hatte er um ihre Hand angehalten. Wäre ihre Mutter nicht verhaftet worden, hätte Betty es ihr am nächsten Morgen eröffnet. Doch da seitdem die ganze Familie Kopf stand, hatte sie ihn gebeten, nicht davon zu sprechen. Wenn diese schreckliche Sache ausgestanden und alles wieder im Lot war, wollte sie es ihrer Mutter erzählen und so schnell wie möglich heiraten. »An Weihnachten«, hatte sie vorgeschlagen.
Aber in den nächsten Stunden durfte sie nicht an Peter denken. Zuerst musste ihre Mutter freigesprochen werden.
Der Prozess begann am späten Nachmittag.
Zeugen sagten aus, sie hätten den Geistlichen Hicks bei Monmouths Truppen gesehen. Der Bäcker Dunne wurde
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