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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Eigenheiten, zum Beispiel ihren ausgeprägten Hang zu einer altertümlichen Ausdrucksweise. Niemand wusste, ob sie das geistreich fand oder ob sie damit andeuten wollte, sie entstamme einem alten Adelsgeblüt. Jedenfalls hielt sie stets mehrere Jahre an einer ihr elegant scheinenden Redewendung fest. Wenn sie etwas Wichtiges zu sagen hatte, lautete ihre derzeitige Lieblingsfloskel »mir deucht«. Zerbrach sie eine Tasse oder erzählte sie eine lustige Anekdote über einen betrunkenen Vikar, unterstrich sie das mit »meiner Treu«. Man hätte meinen können, sie habe am Hof von Karl II. persönlich verkehrt.
    Außerdem kultivierte sie voller Hingabe den bedeutungsschwangeren Blick. Mit ihren dunkelbraunen Augen fixierte sie ihr Gegenüber derart starr und intensiv, dass dieses sich sogleich über die Masse erhoben fühlte. Und wenn dieser Blick auch noch von einem »mir deucht« begleitet wurde, konnte man sicher sein, dass einem zumindest ein Staatsgeheimnis anvertraut werden sollte.
    Bedenkt man, dass Mrs. Grockleton Tochter eines Schneiders aus Bristol und Gattin eines Zollinspektors war, so darf man ihr vornehmes Gehabe als ein Beispiel für den Triumph des menschlichen Willens deuten.
    Mrs. Grockleton war mittelgroß und trug eine kunstvoll aufgetürmte, gepuderte Frisur. Ihr Mann war lang und hager und hatte Hände, die merkwürdig an Klauen erinnerten. Und Mrs. Grockletons erklärtes Ziel war es, Lymington – natürlich unter ihrer Ägide – so rasch wie möglich in einen Tummelplatz der besseren Gesellschaft zu verwandeln, neben dem selbst das angesehene Bath verblasste.
    Samuel Grockleton knirschte mit den Zähnen. Für einen Mann war es schwer mit anzusehen, wie seine Frau zielsicher dem Untergang entgegensteuerte, insbesondere dann, wenn er selbst es war, der diese Katastrophe herbeiführen würde. »Du darfst unsere gesellschaftliche Stellung nicht vergessen, Mrs. Grockleton«, erinnerte er sie. »Allein schon wegen meines Amtes können wir uns keine allzu großen Hoffnungen machen.«
    »Dein Amt lässt nichts zu wünschen übrig, Mr. Grockleton. Und es ist eines Gentlemans würdig.«
    »Mag sein.«
    »Aber, aber, Mr. Grockleton. Ich bin sicher, dass man dich allgemein achtet und schätzt. Das höre ich tagaus, tagein.«
    »Nachbarn halten sich nicht mehr an die Wahrheit. Denk nur, was sie neulich über unsere Kinder gesagt haben.«
    »Ach, Unsinn«, meinte seine Frau vergnügt. Und schon im nächsten Moment begann sie wieder Zukunftspläne zu schmieden.
    Man konnte ihr so manchen Vorwurf machen, doch faul war sie gewiss nicht. Bereits nach einem Monat in Lymington war ihr aufgefallen, dass hier eine Akademie für junge Damen fehlte.
    Und da das Backsteinhaus neben ihrem, gleich hinter der Kirche oben an der High Street, zufällig zu vermieten war, hatte sie ihren Mann überredet, es zu nehmen, und dort ihr Institut eröffnet.
    Sie ging sehr geschickt zu Werk. Zuerst hatte sie die Tochter des Bürgermeisters und ihre beste Freundin angeworben, deren Vater, ein Anwalt, einer Adelsfamilie in der benachbarten Grafschaft angehörte. Dann hatte sie sich an die Tottons gewandt. Diese bewohnten inzwischen ein stattliches Haus vor der Stadt. Mr. Totton war zwar nur Kaufmann, doch seine Schwester hatte den alten Mr. Albion von Haus Albion geheiratet. Edward Totton, der Sohn, studierte in Oxford. Mrs. Grockleton war sicher, dass der ortsansässige Adel ihre Akademie anerkennen würde, wenn sie auch Louisa Totton als Schülerin gewann. Und es gab noch eine weitere angesehene Kaufmannsfamilie, die jedoch noch nicht lange in der Gegend lebte. Mr. St. Barbe handelte zwar mit Lebensmitteln, Salz und Kohle, war jedoch ein sehr gebildeter und mildtätiger Mann und eine Stütze der Gemeinde. Also wurde auch eine Tochter der St. Barbes in die Akademie aufgenommen. Innerhalb eines Monats gelang es Mrs. Grockleton auf diese Weise, fast zwanzig junge Damen an ihrem Hort der Bildung zusammenzutreiben. Einige von ihnen mussten nicht alle Unterrichtsstunden besuchen. Anderen, die weiter entfernt wohnten, diente die Schule auch als Pensionat.
    Auf zwei Eigenschaften ihrer Akademie war Mrs. Grockleton besonders stolz. Es wurde Französisch unterrichtet, und zwar von ihr selbst. Sie hatte diese modische Sprache unter ziemlich bescheidenen Umständen als junges Mädchen von einer französischen Schneiderin in Bristol gelernt, und dass sie diese fließend beherrschte, hob ihr gesellschaftliches Ansehen in Lymington um einiges.

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