Der Wald der Könige
dagegen unternehmen. Auch wenn die Tottons noch von den Salzgärten profitierten, würde sich die bessere Gesellschaft dort am Strand ergehen wollen. Die Salzgärten entsprachen nicht mehr der neuen Zeit.
Waren all diese Pläne nur ein Hirngespinst von Mrs. Grockleton? Nein, nicht ganz. Wie im Rom der letzten Tage dürstete es die englische Oberschicht nach Erfrischung und Zerstreuung. In Westengland hatte man dem alten römischen Seebad Bath zu einer neuen Blüte verholfen und rund um die Mineralquelle einen großzügig angelegten Ferienort errichtet. In jüngerer Zeit interessierte man sich am Hof von König George III. nicht nur für die heilsame Wirkung von Mineralwässern, sondern auch für die des Meeres selbst, in der Hoffnung, den König auf diese Weise von seinen Wahnanfällen zu heilen. Während der letzten Jahre war König George auf dem Weg zu dem kleinen Seebad Weymouth, etwa sechzig Kilometer weiter die Küste hinauf, häufig durch den New Forest gekommen. Er hatte bei den Drummonds und den Burrards Quartier genommen und die Insel Wight besucht.
»Warum fährt er den ganzen Weg nach Weymouth, obwohl Lymington viel näher und gewiss genauso erholsam ist?«, verkündete Mrs. Grockleton. Schließlich verbrachten viele angesehene Leute die Sommerfrische in Lymington. Wenn der König regelmäßig hier einkehrte, würde die bessere Gesellschaft ihm sicher folgen. »Und dann«, erklärte Mrs. Grockleton ihrem schweigenden Gatten, »wird uns dank der Akademie und meiner anderen Pläne niemand mehr die kalte Schulter zeigen können. Schließlich sind wir dann bereits vor Ort. Wir werden im Mittelpunkt stehen.« Fröhlich lächelte sie ihm zu. »Denn meinen letzten Einfall habe ich dir noch gar nicht verraten, Mr. Grockleton.«
»Und der wäre?«, fragte er besorgt.
»Wir geben einen Ball.«
»Einen Ball? Mit Tanz?«
»Ganz richtig. In den Versammlungsräumen. Verstehst du, Mr. Grockleton? Wegen unserer Mädchen an der Akademie und ihren Familien und Freunden werden alle erscheinen.« Sie erwähnte es zwar nicht, aber sie hatte insgeheim auch schon die Burrards mitgezählt.
»Vielleicht kommt auch gar niemand«, entgegnete Mr. Grockleton mit einem weisen Nicken.
»Ach, Unsinn, Mr. Grockleton«, meinte Mrs. Grockleton, diesmal ein wenig heftiger.
Mr. Grockleton hatte allen Anlass zu dieser Befürchtung, denn er wusste etwas, was seine Frau noch nicht ahnte und was er ihr leider nicht verraten durfte.
Man hätte meinen können, dass das Zeitalter der Wunder im georgianischen England vorbei war. Doch in dem Augenblick, als Mrs. Grockleton ihrem Mann seinen mangelnden Glauben an Lymingtons Zukunft vorwarf – also gegen elf Uhr an einem Frühlingsmorgen –, geschah einige Kilometer entfernt in Beaulieu genau ein solches. Es trug sich an einer geschäftigen Stelle am Fluss von Beaulieu zu, die Buckler’s Hard hieß.
Denn hier war mitten im hellen Tageslicht ein Mann plötzlich unsichtbar geworden.
Buckler’s Hard – ein Hard war damals eine steile Uferstraße, über die man Boote an Land ziehen konnte – lag in einer malerischen Umgebung. Der Fluss beschrieb hier eine Kurve nach Westen. Die Uferbänke, mancherorts fast zweihundert Meter breit, fielen sanft zum Wasser hin ab. Etwa drei Kilometer stromabwärts stand die alte Abtei, etwa in gleicher Entfernung stromaufwärts begannen die Wasser des Solent. Es war ein friedlicher, vor der Meeresbrise geschützter Ort. Vor langer Zeit, als hier noch die Mönche lebten, wäre ein erboster Prior mit klauenähnlichen Händen an der Flussbiegung fast mit einigen Fischern aneinander geraten. Doch seitdem war die Ruhe in dieser verschwiegenen Bucht und den mit Schilf bewachsenen Marschen am anderen Ufer nur noch selten von Geschrei gestört worden. Die Abtei gab es nicht mehr, die Mönche waren fort. Die Armada, der Bürgerkrieg, Cromwell und Karl II. sie alle waren mehr oder weniger spurlos an diesem stillen Ort vorbeigegangen. Niemand hatte sich um Buckler’s Hard gekümmert. Bis vor siebzig Jahren.
Der Grund war Zucker.
Von allen Einkommensquellen, mit denen man im achtzehnten Jahrhundert gewaltigen Wohlstand anhäufen konnte, war Zucker wohl die ertragreichste. Die Zuckerhändler verfügten über eine mächtige Lobby im Parlament. Der reichste Mann Englands, der westlich von Sarum ein prächtiges Landgut erworben hatte, war Erbe eines Zuckerimperiums. Und die Morants, denen nun Brockenhurst und andere Güter im New Forest gehörten, bildeten
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