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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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noch mehr liebte als Gottes freie Natur, dann waren das Ruinen.
    England strotzte nur so von Ruinen. Zuerst einmal waren da natürlich die Schlösser. Doch die Trennung von Rom und die Gründung der anglikanischen Hochkirche, der auch Mr. Gilpin angehörte, hatten außerdem den Verfall zahlreicher Kirchen, Klöster und Abteien gefördert. Unweit des New Forest standen die Klöster Christchurch und Romsey; gegenüber von Southampton gab es ein kleines Zisterzienserkloster namens Netley, dessen Ruine am Wasser eindeutig pittoresk war. Und selbstverständlich durfte man die gewaltige Ruine der Abtei von Beaulieu nicht vergessen, auch wenn diese im Laufe von zwei Jahrhunderten um einige Steine ärmer geworden war.
    Ruinen gehörten zur natürlichen Landschaft. Sie schienen aus dem Boden zu wachsen und waren geheimnisvolle und dennoch sichere Orte, wo es sich in Ruhe nachdenken ließ.
    »Eine Ruine zu bauen, Fanny«, mahnte der Vikar seine Schülerin, »ist sehr teuer.« Man benötigte dazu große Mengen Stein, kunstfertige Maurer, die sie verarbeiteten, einen erfahrenen Altertumskenner, der sie entwarf, und zu guter Letzt einen Gartengestalten Der Stein musste künstlich gealtert werden. Außerdem waren Zeit und Glück vonnöten, um Moose, Efeu und Flechten an den richtigen Stellen zum Wachsen zu bringen. »Lassen Sie lieber die Finger davon, Fanny«, warnte Gilpin, »falls Sie nicht dreißigtausend Pfund dafür ausgeben wollen.« Es war um einiges billiger, sich ein schönes neues Haus zu bauen. »Aber ich hätte einen Vorschlag, was Sie unternehmen könnten, wenn das Haus einmal Ihnen gehört«, fügte er fröhlich hinzu. Man durfte die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass der alte Mr. Albion nun schon fast neunzig Jahre zählte, weshalb Fanny in gewiss nicht allzu ferner Zeit Herrin des Gutes sein würde.
    »Und das wäre?«
    »Sie könnten ein gotisches Haus daraus machen. Albion Castle. Die Lage«, fuhr er fort, »eignet sich vorzüglich.«
    Das war wirklich ein hübscher Einfall. Bei einer Reise nach Bristol im vergangenen Jahr hatte Fanny ein entzückendes Beispiel dafür gesehen. Ein georgianisches Haus konnte man umbauen und hie und da ein paar Verzierungen hinzufügen. Am Dach ließen sich künstliche Zinnen anbringen, die Fenster konnte man mit lotrechtem gotischem Maßwerk versehen. Mit Hilfe von Stuck ließen sich Zimmerdecken in Fächergewölbe verwandeln.
    »Das wäre möglich«, stimmte Fanny zu. »Ja, ich glaube, ich werde es tun.« Ihr Blick wurde nachdenklich. »Aber ich denke nicht«, fügte er zögernd hinzu, »dass ich mich allein an ein solches Unternehmen wagen würde. Ich bräuchte eine führende Hand.« Sie lächelte spitzbübisch. »Oder zumindest die Unterstützung eines Ehemannes. Finden Sie nicht?«
    William Gilpin senkte sein ergrautes Haupt und verfluchte das Schicksal dafür, dass er schon so alt war. »Haben Sie jemand Bestimmten im Sinn, Fanny?«
    Obwohl an Bewerbern sicher kein Mangel bestanden hätte, hatte Fanny sich wegen des hohen Alters und der Gebrechlichkeit ihres Vaters aus freien Stücken für ein zurückgezogenes Leben entschieden. Dabei war sie alles andere als schüchtern und ein sehr fröhliches Mädchen. Mit ihren neunzehn Jahren wusste sie genau, dass sie – obwohl nicht Erbin eines gewaltigen Vermögens – wegen ihres Reichtums überall willkommen sein würde. In jener Zeit trugen junge Männer und Frauen der tatsächlichen oder so genannten besseren Gesellschaft ihren Besitz wie ein Preisschild um den Hals. Jede Dame des Hauses kannte den genauen Wert ihrer Gäste. Vermutlich hatte es in der englischen Geschichte nie eine Epoche gegeben, in der man mehr aufs Geld achtete. Und zum Glück brauchte Fanny sich diesbezüglich keine Sorgen zu machen.
    »Im Augenblick nicht«, erwiderte sie.
    »Soweit ich weiß, wollten Sie doch bald Ihren Cousin Totton in Oxford besuchen.«
    »Nächste Woche.« Edward Totton würde in Kürze sein Studium abschließen. Fanny und seine Schwester Louisa beabsichtigten, ein paar Tage bei ihm zu verbringen, und sie freute sich schon sehr auf diese Reise.
    »Dann werden Sie gewiss einem armen Gelehrten mit einer Schwäche für die Gotik begegnen, der Sie mit seinem Wissen beeindruckt«, scherzte der Reverend. »Und nun muss ich in meine kleine Schule. Heute findet dort ein wichtiges Ereignis statt. Und da es auf Ihrem Weg liegt, können wir ja zusammen gehen.«
     
     
    Unauffällig schlenderte Samuel Grockleton die High Street von

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