Der Wald der Könige
aufgetragen wurde. »Sein Verstand ist zu rege«, meldete der Schulmeister dem Vikar. »Er braucht einen Dämpfer.«
Die Prides hingegen hatten mehr Geduld mit dem Jungen. Wenn Nathaniel den kleinen Andrew zu Unsinn anstiftete, drückte der Holzhändler stets schmunzelnd ein Auge zu. »Sollen sie doch ab und zu über die Stränge schlagen«, sagte Pride zu seiner Frau. »Ich war als Kind genauso. Es wird ihnen schon nicht schaden.« Und wenn Andrew und Nathaniel in Schwierigkeiten gerieten und bestraft wurden, ahnten sie auch ohne Worte, dass die Erwachsenen insgeheim über ihre Streiche lachten.
Als Nathaniel eines Nachmittags nach dem Unterricht seinem Freund von seinem neuesten Plan erzählte, riss dieser erschrocken die Augen auf. »Das kannst du nicht tun«, flüsterte Andrew. »Das geht nicht.«
»Warum?«
»Weil… weil es zu schwierig ist. Und außerdem traue ich mich nicht.«
»Unsinn«, verkündete Nathaniel.
Der September hatte eine merkwürdige Wirkung auf Tante Adelaide, die ganz unerwartet zu Tage trat, als sie und Fanny eines Abends wie immer beisammen saßen.
Obwohl es schon dunkel wurde, hatte Tante Adelaide die Kerzen noch nicht angezündet, sodass sie im schwächer werdenden orangefarbenen Schein der untergehenden Sonne in ihrem Lehnsessel kaum zu sehen war. Bis auf das leise Ticken der Standuhr war es still. Fanny glaubte schon, Tante Adelaide sei eingeschlafen, als diese plötzlich sagte: »Es ist Zeit, dass du heiratest, Fanny.«
»Warum?«
»Weil ich nicht für immer für dich da sein werde. Ich möchte noch erleben, dass du versorgt bist. Hast du schon einen jungen Mann im Auge?«
»Nein.« Fanny zögerte kurz. »Ich glaube nicht.« Und da sie nur wenig Lust hatte, dieses Thema weiter zu verfolgen, fragte sie: »Hast du denn nie daran gedacht zu heiraten, Tante Adelaide?«
»Schon.« Die alte Dame seufzte. »Aber es kam immer etwas dazwischen. Zuerst glaubte ich, meine Mutter nicht verlassen zu dürfen, und sie wurde sehr alt. Als sie starb, war ich schon über vierzig. Und dann musste ich mich um das Haus kümmern, für sie und für die Familie.«
»Auch für die alte Alice?«
»Für sie auch.« Sie nickte und sagte mit einer Leidenschaft, die Fanny anrührte: »Schließlich war es meine Pflicht, Haus Albion in ihrem Sinne zu bewahren. Und du wirst es auch tun, ganz gleich, wen du einmal heiratest. Versprichst du mir das, Fanny?«
»Ja.« Wie oft hatte sie dieses Versprechen schon gegeben? Mindestens hundertmal. Aber sie wusste, dass sie es halten würde.
»Du darfst deiner Familie nie Schande machen. Wenn ich nur«, schimpfte sie wie schon so oft, »an diesen verfluchten Penruddock und seine elenden Soldaten denke, die meine arme, unschuldige Großmutter gezwungen haben, halb nackt durch die Nacht zu reiten. Noch dazu in ihrem Alter. Diese Diebe! Diese Schurken! Und der gemeine Verbrecher Penruddock hat es gewagt, sich als Oberst zu bezeichnen.«
Fanny nickte, es war ihr Stichwort, ihrer Tante die passende Frage zu stellen. »War Penruddock beim Prozess anwesend, Tante Adelaide?«
»Aber natürlich.« Fanny erwartete, dass ihre Tante wie immer die Gerichtsverhandlung schildern würde, doch stattdessen schwieg sie. Fanny fragte sich, wie lange sie wohl noch dem Ticken der Uhr würde lauschen müssen, als Adelaide wieder das Wort ergriff: »Meine Großmutter hat einen Fehler gemacht. Dieser Meinung bin ich schon immer gewesen.«
»Einen Fehler?«
»Beim Prozess.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie war entweder zu schwach oder zu stolz. Die arme Alice. Du darfst nie aufgeben, mein Kind«, brach es plötzlich aus ihr heraus. »Niemals! Du musst kämpfen bis zum Ende.« Fanny wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Ihre Tante fuhr fort: »Vor Gericht hat sie kaum ein Wort gesagt. Sie ist sogar eingeschlafen und hat zugelassen, dass Penruddock, dieser Lügner, und die anderen ihren Namen in den Schmutz zogen. Sie hat sich nicht dagegen gewehrt, dass der Richter alle eingeschüchtert und sie verurteilt hat…«
»Vielleicht war sie machtlos dagegen.«
»Nein!«, widersprach ihre Tante ungewöhnlich heftig. »Sie hätte protestieren sollen. Aufstehen und dem Richter sagen, dass dieser Prozess eine Farce war. Sie hätte mit dem Finger auf sie zeigen müssen.«
»Man hätte sie aus dem Saal geschafft und trotzdem verurteilt.«
»Wahrscheinlich. Aber es ist besser, kämpfend unterzugehen. Wenn du jemals vor Gericht musst, Fanny, versprich mir, dass du kämpfen
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