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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Garten gleich hinter dem Hof, wo sie allein waren.
    Endlich senkte sie ihren Schirm, betrachtete ihn mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen, blickte ihn aus wunderschönen blauen Augen an und meinte: »Mr. Seagull, sind Sie mein Cousin?«
    Isaac Seagull fiel aus allen Wolken.
    Es hatte sie große Überwindung gekostet, ihn aufzusuchen. Seit Mr. Gilpin ihr von der Eintragung im Pfarrregister erzählt hatte, wollte es ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatte ihren Vater gefragt und auch ihre Tante, als diese vom Krankenbesuch bei ihrer Freundin in Winchester zurückgekehrt war. Doch aus den gleichgültigen Antworten schloss sie, dass beide nichts über die Familie ihrer Mutter wussten. Soweit sie im Bilde waren, war Fannys Mutter eine Totton gewesen, die einen Albion geheiratet hatte, und alles Weitere spielte eigentlich keine Rolle. Fanny gefiel die Vorstellung nicht, selbst noch einmal im Pfarrregister nachzuschlagen. Der Versuch, mehr über die Vergangenheit ihrer Mutter herauszufinden, konnte langwierig und zermürbend werden. Ganz gewiss war es das Vernünftigste, wenn sie Mr. Gilpins Rat befolgte und die Angelegenheit vergaß.
    Und sie hatte sich die größte Mühe gegeben. Nach Tante Adelaides Ankunft kehrte im Haus wieder der friedliche Alltag ein. Fanny besuchte die Tottons und ließ sich von Mr. Gilpin für ihre Zeichnungen loben. Insgeheim hoffte sie, dass Mr. Martell wiederkommen und ihr in Haus Albion seine Aufwartung machen würde. Sicher würde ihre Tante dafür sorgen, dass er diesmal freundlicher empfangen wurde.
    Dennoch musste sie ständig an die Enthüllung des Vikars denken. Es wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf. Vielleicht lag es daran, dass sie nun mehr über ihre verstorbene Mutter wissen wollte. Doch wenn sie ehrlich mit sich war, musste sie zugeben, dass noch mehr dahinter steckte, und dieses Eingeständnis fiel ihr nicht leicht.
    Wenn ich wirklich mit diesen Leuten verwandt bin, dachte sie, schäme ich mich dafür. Ich fürchte mich davor, mich Angehörigen meiner eigenen Familie zu erkennen zu geben. Und für diese Feigheit gibt es keine Entschuldigung.
    Nachdem sie eine Weile gegrübelt hatte, wurde ihr klar, dass es einen Menschen gab, der ihr bestimmt helfen konnte: der Vater von Edward und Louisa und Halbbruder ihrer Mutter – Mr. Totton. Sie überlegte, ob sie ihn fragen sollte, aber sie scheute davor zurück. Wenn er im Bilde war, hatte er sicher seine Gründe, darüber zu schweigen. Außerdem würde es einem angesehenen Bürger der Stadt wie Mr. Totton gewiss nicht recht sein, wenn sie ihn auf die Verbindungen seiner Halbschwester zu dieser wenig angesehenen Familie hinwies. Also beschloss Fanny trotz ihrer Neugier, sich lieber nicht an ihn zu wenden.
    Deshalb stand ihr nur noch eine andere Informationsquelle offen, die vielleicht die gefährlichste war: die Seagulls selbst. Doch wussten die Seagulls von dieser Verwandtschaft, so sie denn existierte? Womöglich kannte ja ganz Lymington bereits die Hintergründe, ohne dass es ihr, Fanny, selbst zu Ohren gekommen wäre. Welche Folgen würde es haben, wenn sie die Seagulls darauf ansprach? Würden sie sich auf die Verwandtschaft mit ihr berufen, sie in Verlegenheit bringen, die Tottons verärgern und – es lief immer wieder auf dasselbe hinaus – ihre gesellschaftliche Stellung untergraben? Deshalb war es wohl das Beste, wenn sie einen Bogen um die Seagulls machte.
    Also hatte Fanny diese delikate Angelegenheit zunächst auf sich beruhen lassen, denn eine Neuigkeit ganz anderer Art sorgte dafür, dass ihre Sorgen kurz in Vergessenheit gerieten.
    »Hast du es schon gehört, Fanny?« Ihre Cousine Louisa war ganz allein mit der Kutsche nach Haus Albion gefahren, um es Fanny brühwarm zu erzählen. »Meine liebe, liebe Fanny, was hältst du davon? Mr. Martell hat Edward zu sich nach Dorset eingeladen. Und er hat ausdrücklich gefragt, ob ich auch mitkommen möchte. Nächste Woche reisen wir ab. Ach, küss mich, Fanny!«, rief sie begeistert aus. »Ich bin ja so aufgeregt.«
    »Das kann ich mir denken.« Fanny zwang sich zu einem Lächeln. »Du wirst sicher großen Spaß haben.«
    Nachdem Louisa fort war, fragte sie sich, ob sie vielleicht auch eingeladen werden würde. Doch die Tage vergingen, ohne dass ein Brief eintraf. Fanny sagte sich, es sei nur recht und billig, dass Mr. Martell die Gastfreundschaft der Tottons erwiderte. Dennoch machte sie sich wider alle Vernunft weiter Hoffnungen. Vielleicht wird Mr. Martell schreiben oder

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