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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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vorbei.
    »Das ist der ›Nackte Mann‹«, verkündete Nathaniel, während die anderen Jungs den Baum feierlich betrachteten. »Hier machen wir es.«
     
     
    Der Vikar war ein hoch gewachsener, magerer, grauhaariger Mann, der die beiden Frauen freundlich in seinem gemütlichen Pfarrhaus willkommen hieß. Offenbar freute er sich über die Einladung, sie zum Abendessen nach Hale zu begleiten. Der neue Pächter, versicherte er Adelaide, sei von Kopf bis Fuß ein Gentleman und habe das Gut für fünf Jahre übernommen.
    »In den letzten Jahrzehnten hat Hale verschiedene Besitzer und Pächter gesehen«, erklärte er, »und das Gut wurde ziemlich vernachlässigt. Doch soweit ich weiß, will Mr. West andere Saiten aufziehen.«
    Während Tante Adelaide sich von der Reise ausruhte, ließ Fanny sich vom Vikar das Städtchen Fordingbridge zeigen. Die fünf Flüsse von Sarum, das etwa fünfzehn Kilometer im Norden lag, hatten sich bereits mit dem Avon vereint, der hier, inmitten von hübschen, mit Schilf bewachsenen Ufern unter einer malerischen alten Steinbrücke hindurchfloss. Als Fanny zurückkehrte, um sich für die abendliche Einladung fertig zu machen, gelang es ihr immerhin, eine halbwegs fröhliche Miene aufzusetzen.
    Langsam fuhr die Kutsche des Vikars die Anhöhe von Godshill hinauf. Die Lage des Gutshauses von Hale oberhalb des Avontals war wirklich idyllisch. Doch schon von der langen Auffahrt aus erkannte Fanny, dass die schöne georgianische Fassade deutliche Anzeichen der Vernachlässigung zeigte. Als sie vor der Tür hielten, kamen sofort zwei livrierte Pagen heraus, was darauf hinwies, dass Mr. West auf gewisse Formen Wert legte. Und beim Anblick von Mr. West selbst war Fanny schließlich alles klar.
    Mr. Arthur West war ein blonder, ziemlich gedrungener Herr von fünfunddreißig Jahren, dessen forsches männliches Auftreten davon kündete, dass er sich kraft seiner hohen Geburt und seiner Fähigkeit dazu berufen fühlte, jedes Gut auf Vordermann zu bringen. Da sein Erbe es ihm nicht ermöglichte, sich in angemessenem Rahmen als Gutsbesitzer zu etablieren, hielt er es für zwingend, sich nach einer reichen Erbin umzusehen. Niemand hätte ihn für einen Abenteurer gehalten. Er betrachtete es schlicht und ergreifend als sein Recht, die Erbin eines wohlhabenden Gutes zu heiraten. Dieses Selbstbewusstsein wirkte auf viele reiche Frauen anziehend. Denn wenn Arthur West seinen Blick aus blauen Augen auf eine dieser Damen richtete, war dieser sofort klar, dass er genau wusste, was er wollte. Und wie jede Frau früher oder später herausfindet, ist diese Eigenschaft bei einem Mann nicht zu verachten.
    Tante Adelaide gegenüber verhielt er sich höflich und galant, was der alten Dame gut gefiel. Was Fanny betraf, versuchte er, sich auf ruhige und routinierte Weise bei ihr einzuschmeicheln. Sie hatte den Eindruck, dass zwischen ihnen eine stillschweigende Übereinkunft bestand: Falls sie dies wünschte, würde er ihr den Hof machen. Da sie eine solche Behandlung durch Männer bis jetzt noch nicht kannte, war sie ein wenig argwöhnisch. Doch da sein Betragen makellos war, weckte die Situation ihre Neugier, und sie fand es eigentlich recht amüsant.
    »Mein Onkel hat mir viel von Ihrem Vater und seinen Reisen erzählt, Miss Albion«, sagte er schmunzelnd. »Er muss ein sehr abenteuerlustiger Mann sein.«
    »Ich fürchte, inzwischen nicht mehr, Mr. West.«
    »Nun.« Er sah sie freundlich an. »Jedes Alter hat seine Vorzüge. Vermutlich sind jetzt wir mit den Abenteuern an der Reihe.«
    »Ich bin nicht sehr abenteuerlustig, vielleicht deshalb, weil ich auf dem Land lebe.«
    »Das glaube ich nicht, Miss Albion.« Er grinste ein wenig spitzbübisch. »Auch auf dem Land bieten sich braven Leuten wie uns genug Gelegenheiten zu einem Abenteuer.«
    »Ich liebe den New Forest«, erwiderte sie schlicht.
    »Da bin ich ganz Ihrer Ansicht«, entgegnete er.
    Sie plauderten im großen Salon. Während Mr. West ein paar Worte mit dem Vikar wechselte, tippte Tante Adelaide ihrer Schutzbefohlenen auf den Arm und flüsterte ihr zu, dass sie ihren Gastgeber für einen sehr tüchtigen Mann halte. Fanny verstand sehr wohl, was das bedeuten sollte: Da Mr. West nicht mit eigenen Gütern beschäftigt war, würde er für Haus Albion ein großer Gewinn sein. Dann wurde angekündigt, das Abendessen stehe bereit, was sie aus der Verlegenheit befreite, darauf antworten zu müssen. Mr. West geleitete die alte Dame am Arm ins Speisezimmer.
    Das Essen war

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