Der Wald der Könige
hinab. Seine Hand ruhte auf dem Knauf seines großen Schwertes, und er sah dem Betrachter mit der kalten, stolzen und ein wenig tragischen Miene entgegen, wie man sie oft bei Bildnissen von Anhängern der Stuarts findet.
»Wer ist das?«, fragte Adelaide.
»Ich weiß es nicht«, gestand Mr. West. »Es hing schon bei meiner Ankunft hier.« Er ging zu dem Bild hinüber und leuchtete mit der Kerze die untere Kante des Rahmens ab. »Da steht etwas«, meinte er, »aber man kann es kaum lesen.« Er versuchte, die Inschrift zu entziffern. »Ah«, rief er, »ich glaube, ich hab es. Dieser Herr ist…« – er zögerte noch – »Oberst Thomas Penruddock.«
»Penruddock?«
»Aus Compton… Compton Chamberlayne. Sagt Ihnen der Name etwas?«
Natürlich. Gewiss hatten die Penruddocks aus Hale dieses Bild hier aufgehängt, dachte Fanny. Doch wer hätte wissen können, dass sie ein Porträt ihres Verwandten besaßen oder dass sie es einfach zurückgelassen hatten? Welches böse Schicksal hatte beschlossen, sie einem solchen Schrecken auszusetzen?
Tante Adelaide war sichtlich entsetzt. Sie erbleichte und umklammerte das Geländer aus Eichenholz, als befürchte sie zu stürzen. Als sie aufstöhnte und in sich zusammenzusacken schien, eilte Fanny zu ihr hinüber. Dann aber richtete die alte Dame sich auf und entgegnete – wohl um ihrem Gastgeber Peinlichkeiten zu ersparen – tapfer: »Dieser Name ist mir vertraut, Mr. West. Die Penruddocks waren vor langer Zeit die Besitzer dieses Hauses.« Noch nie war Fanny so gerührt und auch so stolz auf ihre Tante gewesen, die sich nun auf ihren Arm stützte. »Nun würde ich am liebsten hinuntergehen«, fuhr Adelaide fort. »Ich möchte mich bei Ihnen für diesen sehr angenehmen Abend bedanken, Mr. West.«
Fanny führte sie wohlbehalten in die Halle hinunter, und niemand außer ihr bemerkte, dass ihre Tante noch immer zitterte.
Während sie darauf warteten, dass die Kutsche vorgefahren wurde, blickte Adelaide Fanny jedoch aus scharfen Augen an und fragte leise: »Fühlst du dich wohl, Kind? Du bist ganz bleich.«
»Ja, Tante Adelaide, es geht mir gut«, erwiderte Fanny mit einem Lächeln.
Allerdings entsprach das nicht ganz der Wahrheit, obwohl Fanny nur wenig Lust hatte, ihrer Tante den Grund zu nennen. Denn das Gesicht von Oberst Penruddock war ihr nur allzu vertraut, und es hatte sie Mühe gekostet, nicht laut nach Luft zu schnappen, als sie es im Kerzenlicht vor sich gesehen hatte.
Der Mann auf dem Bild glich Mr. Martell wie ein Ei dem anderen.
Am Mittwochmorgen machte sich Caleb Furzey bei Tagesanbruch von Oakley aus auf den Weg. Er fuhr fast jeden Monat nach Ringwood auf den Markt. Manchmal hatte er Ferkel oder gewilderte Hirsche zu verkaufen. Meist traf er am späten Vormittag ein, stellte Pferd und Wagen am Gasthof ab und schlenderte über den Markt, wo er über kurz oder lang einen Verwandten traf. Am Nachmittag saß er dann im Gasthof, trank und plauderte mit den anderen Gästen. Bei Sonnenuntergang, oder manchmal sogar erst nach Dunkelwerden, luden ihn seine Cousins oder der Wirt auf seinen Wagen. Und während er seelenruhig schlief, brachte ihn sein Pferd, das den Weg genauso gut kannte wie er, langsam über Burley und Wilverley nach Hause.
Wegen seines Aberglaubens und weil Burley ein verwunschener Ruf anhaftete, hätte sich Caleb Furzey unter gewöhnlichen Umständen geweigert, bei Vollmond dort vorbeizufahren. Heute jedoch war – wie er seinen Nachbarn schon vor einiger Zeit verkündet hatte – ein ganz besonderer Tag. Einer seiner Cousins in Ringwood feierte nämlich seinen fünfzigsten Geburtstag. »Und wenn ich nicht dabei bin«, meinte Furzey zu seinem erstaunten Nachbarn, »werden alle sagen, es war gar kein richtiges Fest.«
Also freute er sich auf das Wiedersehen mit seiner Familie und auf eine feuchtfröhliche Feier, als er an diesem Tag durch den New Forest fuhr. Bei Wilverley Plain begegnete er der Kutsche mit den zurückkehrenden Albions und grüßte respektvoll.
Als Wyndham Martell zu seinem Ritt aufbrach, ging über der Heide von Beaulieu bereits rot die Sonne unter. Martell hatte aufschlussreiche zwei Stunden in Cadland bei Mr. Drummond verbracht, doch nun musste er sich beeilen. Er würde ohnehin schon zu spät zu Mrs. Grockletons Ball kommen. Soweit er im Bilde war, würde fast niemand erscheinen.
Als Martell nun den Wald betrachtete, sah er ihn verständlicherweise mit den Augen eines Adligen. Und für diese war der New Forest –
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