Der Wald der Könige
festgestellt, dass sie auch nur gewöhnliche Sterbliche waren. Es hätte die Betreffenden wohl überrascht, das zu hören, doch Mrs. Grockleton hatte sie – zumindest in ihrer blühenden Phantasie – überrundet: Der New Forest war ihr zu klein geworden.
Aus diesem Grunde zogen die Grockletons nach Bath.
Da Mr. Grockleton nun keine Gefahr mehr darstellte, konnte Puckle in den New Forest zurückkehren.
Isaac Seagull hatte alles unauffällig in die Wege geleitet. Puckle erhielt seine alte Hütte und seinen Arbeitsplatz zurück. Und wenn er nun durch die Werft schlenderte, war es – vermutlich durch einen Zauber, der nur im New Forest wirkte –, als wäre er nie fortgewesen.
Vier Jahre waren seit seiner Rückkehr verstrichen. In dieser Zeit hatte er an der Swiftsure gearbeitet. Darum erschien ihm der morgige Stapellauf auf seltsame Weise fast wie eine Bestätigung dessen, dass er wirklich nach Hause zurückgekehrt war.
Er ging um das Schiff herum, erfreute sich an dem Schwung des riesigen Kiels und an der kunstfertigen Arbeit. Der innere Kiel bestand aus Ulmenholz, der äußere aus Eiche. Wenn das Schiff die Rutsche hinunterglitt oder später vielleicht einmal auf Grund lief, würde der äußere Kiel den Druck abfangen und somit den inneren schützen.
Puckle hatte vor, auf der Werft zu übernachten, denn bevor das Schiff zu Wasser gelassen werden konnte, gab es noch etwas Wichtiges zu erledigen.
Für gewöhnlich fand ein Stapellauf in Buckler’s Hard eine Stunde vor Einsetzen der Flut statt. Bei Ebbe – also kurz vor Morgengrauen – würde ein Arbeitstrupp die Rutsche mit geschmolzenem Talg und Seife einreiben. Puckle hatte darum gebeten, dabei sein zu dürfen. Diesen letzten Teil der Vorbereitungen wollte er sich auf keinen Fall entgehen lassen.
In dieser Nacht war der Mond zu einem Viertel voll. Unzählige Sterne standen am Himmel. Die helle, klassische Fassade von Albion Park überblickte die schimmernden Rasenflächen bis hin zu dem leicht abschüssigen Gürtel aus Feldern und Wäldern, der, sanft und träumerisch, zum Wasser des Solent hinabfiel. Dahinter ragte, gut sichtbar im Mondlicht, die lang gestreckte Insel Wight wie ein wohlwollender Wächter auf.
In dem prächtigen Haus war es still. Die fünf Kinder von Fanny und Wyndham Martell schliefen selig in ihren Bettchen in dem Flügel des Hauses, wo die Kinderzimmer lagen. Mrs. Pride war zwar ein wenig gealtert, hatte jedoch noch immer das Heft in der Hand. Ohne ihre Erlaubnis hätte in Albion Park nicht einmal eine Fliege zu summen gewagt. Nun schlummerte auch sie friedlich. Am nächsten Morgen würde der ganze Haushalt sich dem Pulk von mehr als hundert Kutschen anschließen und sich den Stapellauf der Swiftsure ansehen.
Alle schliefen. Oder wenigstens fast alle.
Mr. Wyndham Martell war noch wach. Vor etwa einer Stunde war er durch ein Geräusch seiner Frau geweckt worden. Nun saß er da und betrachtete sie nachdenklich.
Vor einigen Wochen hatte sie angefangen, im Schlaf zu sprechen. Das tat sie hin und wieder, doch diese Phasen dauerten für gewöhnlich nur ein oder zwei Wochen an. So als gebe es in ihrem Inneren einen Wechsel der Gezeiten, von dem er kaum etwas wusste. Manchmal konnte er ein paar Sätze verstehen. Sie murmelte etwas über ihre Tante, Mrs. Pride oder Alice Lisle. Zuweilen schien sie sich mit Isaac Seagull zu unterhalten oder Mr. Gilpin etwas anzuvertrauen. Allerdings gab es einen Traum, der sie zu quälen schien. Dann wälzte sie sich hin und her und begann ab und zu sogar zu schreien. Und genau das war heute Nacht wieder geschehen.
Wyndham Martell liebte seine Frau sehr. Er wollte ihr helfen, wusste aber nicht, was er tun sollte. So sehr sie auch litt, er konnte ihr Rufen und Stöhnen oft nicht deuten. Wenn sie morgens aufwachte, lächelte sie ihn zärtlich an, und alles schien wieder in Ordnung.
Nun aber glaubte Martell, die Lösung des Rätsels gefunden zu haben.
Er stand auf und ging zum Fenster. Die Nacht war warm. Jenseits des Parks konnte er die Küste, die ferne Landzunge von Hurst Castle und dahinter das offene Meer erkennen. Er schmunzelte. Das war das Reich von Isaac Seagull, dem Schmuggler. Dem Cousin seiner Frau. Er erinnerte sich noch gut an den Abend, als Louisa ihm von dieser geheimen Verwandtschaft erzählt hatte. Und auch daran, wie ihre Böswilligkeit sein Mitgefühl für Fanny geweckt hatte. Vielleicht, dachte er spöttisch, hatte ihn ja gerade dieses dunkle Geheimnis zu der Frau
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