Der Wald der Könige
dass ich an jenem Nachmittag ständig an meinen lieben Vater dachte, um dessen Gesundheit es schon seit einiger Zeit nicht gut stand. Ich überlegte, ob ich abreisen sollte, um bei ihm zu sein, denn ich hatte eine starke Vorahnung, dass sein Ende nicht mehr weit war. Leider hat sich diese Befürchtung bewahrheitet. So geistesabwesend war ich, als ich grübelnd durch den Laden schlenderte. Ich weiß nicht einmal mehr, dass ich mir die Spitze angeschaut habe, und kann nur annehmen, dass ich einem Tagtraum nachhing, als ich sie in meine Tasche steckte. Vielleicht glaubte ich mich in diesem Moment zu Hause oder an einem anderen Ort. Denn meine Herren«, erhob sie nun die Stimme, »weshalb und aus welchem Grund sollte ich ein Stück Spitze stehlen, für das ich überhaupt keine Verwendung habe? Warum sollte ich als Erbin eines großen Gutes und gehorsame Tochter meinen guten Ruf wegen eines völlig sinnlosen Verbrechens aufs Spiel setzen?«
Fanny holte tief Luft und fuhr dann fort. »Meine Herren, man hat mir die besten Anwälte zu meiner Verteidigung angeboten, und ich habe mir überlegt, ob ich ihre Dienste in Anspruch nehmen soll. Gewiss hätten sie versucht, die Motive, die Wahrhaftigkeit und die Zuverlässigkeit der guten Leute in Zweifel zu ziehen, die mich beschuldigen. Bis zu diesem Prozess hat man mich ins Gefängnis gesperrt. In dieser Zeit habe ich meinen guten Namen, meinen Vater, meine Tante und sogar das Haus meiner Familie verloren. Gott hat beschlossen, mir alles zu nehmen.« Rührung überkam sie, sodass sie kurz innehalten musste. »Doch diese schwere Zeit hat mir eines klar gemacht, nämlich dass ich vor Sie hintreten und Ihnen die Wahrheit sagen muss. Ich überantworte mich Ihrer Weisheit und Gnade.« Sie drehte sich zum Richter um. »Euer Ehren, ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen.«
Die Geschworenen zogen sich zurück, aber ihre Beratung währte nicht lange. Selbst der Ladenbesitzer glaubte Fanny inzwischen. Bald waren sie zu einem Urteil gelangt.
»Nicht schuldig, Euer Ehren.«
Sie war frei. Als Fanny mit ihren lieben Freunden den Gerichtssaal verließ, empfand sie dennoch keine Freude. Draußen vor der Tür stand, bewacht von einem Polizeidiener, das arme Mädchen, das deportiert werden sollte. Fanny blieb stehen und sprach sie an. »Es tut mir Leid, was Ihnen passiert ist.«
»Ich lebe ja noch.« Das Mädchen zuckte die Achseln. »Dort wird es für mich auch nicht schlimmer sein als hier.«
»Aber Ihre Familie…«
»Ich bin froh, sie nicht mehr wieder zu sehen. Sie haben sich nie um mich gekümmert.«
»Fast hätte mir dasselbe Schicksal gedroht«, sagte Fanny leise.
»Ihnen? Einer Dame? Das soll wohl ein Witz sein. Sie wären sowieso freigekommen.«
»Werden Sie nicht unverschämt«, meinte Mr. Gilpin, allerdings in sanftem Ton.
Dennoch drehte Fanny sich noch einmal um und sah das Mädchen mitleidig an.
Im Frühling desselben Jahres fand die Hochzeit von Miss Fanny Albion und Mr. Wyndham Martell statt. Man hatte lange überlegt, wo man die Feier veranstalten sollte, doch die Frage beantwortete sich zur allgemeinen Zufriedenheit, als Mr. Gilpin sein Pfarrhaus zur Verfügung stellte. Dort wohnte Fanny zurzeit ohnehin. Mr. Totton führte die Braut zum Altar. Edward fungierte als Trauzeuge, und Louisa war die oberste Brautjungfer. Auch wenn sich das Verhältnis zwischen Tottons und dem Brautpaar ein wenig abgekühlt hatte, war an diesem Tag nichts davon zu spüren. Denn alle gratulierten Louisa zu ihrem Aussehen und verliehen der Überzeugung Ausdruck, dass sie gewiss auch bald einen Ehemann finden würde.
Am Tag vor der Hochzeit erhielt Fanny unerwarteten Besuch. Der Mann stand mit einem Geschenk vor der Tür des Pfarrhauses, und obwohl sich Fanny nicht ganz wohl dabei fühlte, empfand sie es als ihre Pflicht, ihn ins Wohnzimmer zu bitten.
Mr. Isaac Seagull hatte sich zur Feier des Tages mit einem eleganten blauen Rock, Seidenstrümpfen und einer ordentlich gestärkten Halsbinde herausgeputzt. Mit einer leichten Verbeugung und einem seltsamen Lächeln überreichte er Fanny das Geschenk, ein kunstvoll gefertigtes Tablett aus Silber. Fanny bedankte sich, doch sie errötete ein wenig, da sie es nicht für passend gehalten hatte, Mr. Seagull zur Hochzeit einzuladen.
Der Wirt des Angel Inn erriet ihre Gedanken. Sein kinnloses Gesicht verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. »Ich wäre nicht gekommen, auch wenn Sie mich darum gebeten hätten«, meinte er
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