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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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unterteilte das Land in privat genutzte Parzellen. Zugegeben, viele Menschen hatten dadurch ihre Heimat verloren, doch schließlich gab es in den wachsenden Industriestädten genug Arbeit für sie. Und nun war es endlich an der Zeit, Ordnung in den zügellosen Wildwuchs des New Forest zu bringen.
    Im Jahr 1848 untersuchte eine Kommission des Unterhauses die Zustände im New Forest. Man war über die Ergebnisse schockiert: Forstbeamte wurden fürs Nichtstun bezahlt: die Verwalter verkauften Holz auf eigene Rechnung, und es wurde betrogen und unterschlagen, was das Zeug hielt. Kurz gesagt, es hatte sich in den letzten fünfhundert Jahren kaum etwas verändert. Eine Reform war dringend erforderlich. Hierbei ging man mit bewundernswerter Konsequenz zu Werke. Die Hirsche hatten keinen wirtschaftlichen Nutzen, mussten also verschwinden. Doch da die Krone nun keine Hirsche mehr züchten konnte, hatte sie Anrecht auf eine Entschädigung. Stimmen, die widersprachen, die Königin spare sich durch die Beseitigung der Hirsche bares Geld, wurden rasch zum Schweigen gebracht. Die Entschädigung wurde auf fünftausendsechshundert Hektar eingefriedetes Gebiet zur Baumzucht festgelegt – zusätzlich zu den zweitausendvierhundert Hektar, die mit dem alten Gesetz von 1698 noch nicht verteilt worden waren. Und um ein für allemal klarzustellen, welche Ziele die Krone verfolgte, wurden die Bewohner, die den Wald bislang genutzt hatten, von nun an der Zuständigkeit der Waldbehörde unterstellt. Die Betroffenen selbst wurden dazu nicht gehört. In der kurzen Zeit, in der über das Gesetz beraten wurde, erwirkten die fünf größten Grundbesitzer im New Forest eine Verkleinerung der neuen Einhegungen auf viertausend Hektar. Anschließend wurde das Gesetz in aller Eile erlassen.
    Wenig später übertrug man die Verwaltung des New Forest einem Aufsichtsbeamten. Sein Name war Cumberbatch.
     
     
    1868
     
    Es war ein sonniger Julitag. Die Dampflokomotive mit dem hohen Schlot stand zischend und qualmend am Bahnhof von Brockenhurst und schimmerte kupfern wie eine frisch gehäutete Schlange.
    Eine Reihe gedrungener brauner Wagons, deren Fenster blank gewienert und deren Messingteile von schneidig uniformierten Schaffnern poliert worden waren, stand bereit. Man wartete auf die Passagiere, um sie unter lautstarkem Rattern und mit einer Geschwindigkeit von fast fünfzig Stundenkilometern ins siebzig Kilometer entfernte London zu bringen.
    Die Eisenbahnverbindung von London in den Südwesten war der Stolz des Industriezeitalters und der Beweis dessen, was es vollbringen konnte. Vor etwa zehn Jahren hatte man die Strecke weiter in den Westen quer durch den New Forest über Ringwood bis nach Dorset ausgebaut. Allerdings hatte der Direktor der Gesellschaft, Mr. Castleman, nicht nur Entschädigungszahlungen für die Beeinträchtigung im New Forest geleistet, sondern zusätzlich einen Zickzackkurs eingehalten, um den Wald so wenig wie möglich zu stören, weshalb die Strecke als Castlemans Korkenzieher bezeichnet wurde. In Brockenhurst, wo Viehkoppeln und Ponypferche an den Bahnhof angrenzten, wurde Rast gemacht, um die Wassertanks aufzufüllen.
    Die beiden Männer, die den Bahnsteig entlangschlenderten, gaben ein seltsames Gespann ab. Der ältere von ihnen zählte fast sechzig Jahre und war vom Scheitel bis zur Sohle ein viktorianischer Gentleman. Da es ein warmer Tag war, trug er keinen Mantel über seinem grauen Jackett. Sein Flügelkragen wurde von einer zu einer lockeren Schleife gebundenen Halsbinde zusammengehalten. Er hatte einen Spazierstock mit silbernem Knauf bei sich. Sein hoher Zylinder war ordentlich gebürstet, seine Hose makellos sauber, und sein Bursche hatte seine Schuhe schon vor Morgengrauen so blitzblank mit Spucke poliert, dass das Sonnenlicht in kleinen Funken darin aufblitzte. Mit seinem geröteten Gesicht, den blauen Augen, dem weißen Haar und dem langen, herabhängenden Schnurrbart ähnelte Oberst Godwin Albion seinem Urahn, dem Förster Cola, was ihn vermutlich sehr erfreut hätte. Außerdem wäre er mit ihm in den meisten wichtigen Angelegenheiten gewiss einer Meinung gewesen.
    Auch wenn bevorstehende Ereignisse Grund zur Besorgnis gaben, ließ Oberst Albion sich das nicht anmerken. Er wirkte ebenso gelassen wie damals vor zwölf Jahren, als er seine Männer in den Krimkrieg geführt hatte. Und wer mit den Russen fertig geworden war, so sagte er sich, würde wohl auch einen aus Landsleuten bestehenden Ausschuss

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