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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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geführt, die er liebte.
    Und möglicherweise, so überlegte er weiter, hatte jeder Mensch sein dunkles Geheimnis, von dem er selbst nichts ahnte.
    Da er seine Frau mit all ihren Geheimnissen liebte, schlich er sich hinaus, ging in sein Arbeitszimmer, setzte sich an den Schreibtisch und griff nach einem Stück Papier. Er wollte Fanny einen Brief schreiben.
    Wyndham Martell hielt inne, überlegte gründlich und begann:
     
    Meine liebste Frau,
    jeder von uns hat ein Geheimnis, und auch ich muss dir etwas gestehen…
     
    Es war ein langer Brief. Als Martell fertig war und ihn versiegelte, graute schon der Morgen.
     
     
    In Buckler’s Hard war Puckle sehr beschäftigt. Es herrschte Ebbe. Zufrieden watete er durch den Schlamm und rieb die Schienen mit dem schweren, durchweichten Lederlappen ab. Über ihm ragte der gewaltige Rumpf der Swiftsure in den verblassenden Sternenhimmel wie ein alter Freund. Am anderen Ufer des Flusses von Beaulieu begann plötzlich ein Vogel zu singen. Und als Puckle nach Osten blickte, sah er das erste schwache Morgenlicht.
    Heute würde die Swiftsure vom Stapel gehen. Als Puckle noch einmal zu dem Schiff hinaufblickte, dachte er wieder – obwohl er es nie hätte in Worte fassen können –, dass den Bäumen durch die Verarbeitung zu diesem riesigen hölzernen Rumpf ein zweites und möglicherweise ruhmreiches Leben geschenkt worden war. Puckle war überglücklich, denn auf diese Weise würde der New Forest selbst mit all seinen vielen Geheimnissen und Wundern über die Rutschen ins Wasser gleiten, um sich mit dem endlosen Meer zu vereinen.



EIN PRIDE AUS DEM NEW FOREST
     
     
     
    1851
     
    Im Jahr 1851, dem fünfzehnten unter der Regierung von Königin Viktoria, erließ das britische Parlament ein Gesetz, das für den New Forest die einschneidendste Veränderung seit den Zeiten von Wilhelm dem Eroberer bedeutete.
    Man beschloss, alle Hirsche zu töten.
    Niemand wusste genau, wie viele es von ihnen gab, und man schätzte ihre Anzahl auf sieben- bis zehntausend. Rothirsche und Damhirsche, Böcke, Bullen und Kühe, Kitze und Kälber – sie alle mussten sterben. Die Verfügung wurde unter dem Namen Deer Removal Act – Gesetz über die Beseitigung der Hirsche – bekannt.
    Natürlich hatte der New Forest schon seit Jahrhunderten als Zuchtgebiet für Hirsche ausgedient und dadurch seine wirtschaftliche Bedeutung verloren. Die jährlich abgeschossenen Tiere wurden an die Verwalter und die Landbesitzer verteilt, welche durch Verbiss Vermögensschäden erlitten hatten. Man berechnete, dass jeder erlegte Hirsch die Krone die beträchtliche Summe von einhundert Pfund kostete! Also war der New Forest nicht mehr zeitgemäß, die Verwalter wurden fürs Nichtstun bezahlt, und die hübschen Hirsche besaßen keinen finanziellen Nutzen. Doch das war nicht der eigentliche Grund, warum man sie loswerden wollte.
    Sie mussten weg, um weiteren Bäumen Platz zu machen.
    Seit den ersten Einfriedungen aus der Tudorzeit hatte die Krone ein Auge auf die Bäume des New Forest geworfen. Mit seinen Anpflanzungen hatte der fröhliche Monarch Karl II. die Grundlagen für die moderne Forstwirtschaft geschaffen. Im Jahr 1698 erließ das Parlament ein Gesetz, das die Einrichtung von umzäunten Baumschulen vorsah. Tiere – Hirsche, Rinder und Ponys also – mussten draußen bleiben, bis die Schösslinge so groß waren, dass sie nicht mehr durch Verbiss Schaden nehmen konnten. Danach wurden die Zäune geöffnet, sodass die Tiere das Gestrüpp abweiden konnten, und man begann anderswo mit der nächsten Einfriedung. Obwohl sich dadurch der Bestand an Eichen und Buchen erhöhte, wurde der Holzanbau nie systematisch betrieben. Der Großteil der Eichen für den Schiffbau in Buckler’s Hard stammte aus dem Wald, nicht aus Anpflanzungen. Und so blieb in den uralten Wäldern und Heiden alles wie gehabt.
    Das jedoch galt den Zeitgenossen als empörende Verschwendung. Das Britische Empire dehnte sich immer mehr aus. Die industrielle Revolution hatte eine moderne, mechanisierte Welt hervorgebracht. Im Jahr 1851 lockte die Weltausstellung in London ganze Zugladungen von Menschen aus ganz Großbritannien in den riesigen Glaspalast, wo man die Errungenschaften des weltweiten industriellen Fortschritts bewundern konnte. In der Landwirtschaft wurden zunehmend Maschinen eingesetzt. Durch gewaltige Einhegungsmaßnahmen schob man der wenig ertragreichen genossenschaftlichen Bewirtschaftung von Gemeindegrund einen Riegel vor und

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