Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
Augenblick inne. »Und nun wächst eine Wurzel von Eurer Wirbelsäule direkt durch den Stuhl bis in den Boden. Ganz tief hinunter in die Erde.«
    »Ja, ich spüre es.«
    Die Hexe nickte langsam. Adela fühlte sich, als wäre sie wirklich wie ein Baum mit dem Boden verwachsen. Zuerst erschien es ihr merkwürdig, dann jedoch unbeschreiblich entspannend. Schließlich erhob sich die Hexe und ging langsam im Zimmer auf und ab.
    Mit dem Dolch beschrieb sie rings um sich, Adela und die Gegenstände auf dem Boden einen Kreis in der Luft. Die Katze wurde nicht in den Kreis eingeschlossen.
    Anschließend tauchte sie die Spitze des Dolches in die Wasserschale und tat dasselbe mit dem Salz. Nachdem sie mit Hilfe des Dolches drei Prisen Salz in das Wasser gegeben und umgerührt hatte, murmelte sie leise vor sich hin.
    Danach nahm sie das Wasser und verspritzte es jeweils dreimal an vier Stellen des Kreises, den sie zuvor gezogen hatte. Adela vermutete, dass es sich um die vier Himmelsrichtungen handelte. Schließlich holte sie ein kleines Stück Glut aus dem Feuer, flüsterte etwas, blies es aus und sah zu, wie der Rauchfaden zur Decke hinaufstieg. Dann machte sie – wieder in alle vier Himmelsrichtungen – einige Zeichen.
    »Bewegst du dich dabei immer von Norden nach Osten und nach Süden?«, wagte Adela zu fragen.
    »Ja«, lautete die Antwort. »Anders herum wäre Widersinn. Sprecht nicht.«
    Nun ging sie ein drittes Mal im Kreis die vier Himmelsrichtungen ab und zeichnete wieder mit dem Dolch seltsame Zeichen in die Luft. Zuerst hatte Adela diese für rein zufällig gehalten, jetzt aber bemerkte sie, dass sie miteinander identisch waren. Ihr wurde klar, dass die Hexe ein Pentagramm zeichnete, den fünfzackigen Stern, dessen Linien weder Anfang noch Ende haben. Und obwohl das vierte Zeichen hinter ihrem Kopf beschrieben wurde, war sie sicher, dass es sich um dasselbe handelte. Zu guter Letzt zog die Hexe ein Pentagramm in die Mitte des Kreises. »Luft, Feuer, Wasser, Erde«, sagte sie leise. »Der Kreis ist geschlossen.«
    Dann fuhr sie die Pentagramme noch einmal mit dem Stab nach. Schließlich war sie zufrieden. Sie stand in der Mitte des Kreises, sah jedoch nicht Adela an, sondern die Punkte am Rande des Kreises und sprach, an sie gerichtet, ein paar Worte. Nachdem das erledigt war, ließ sie sich auf dem Stuhl nieder, wortlos und erwartungsvoll, wie eine Hausherrin, die mit Gästen rechnet.
    Auch Adela saß mucksmäuschenstill da – sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Aber lange konnte es wohl nicht gedauert haben.
    Als Puckles Frau sie aufgefordert hatte, sich vorzustellen, sie wäre ein Baum, hatte sie den Eindruck gehabt, dass ihr Körper nach unten gezogen wurde. Nach einer Weile bemerkte sie zu ihrer Überraschung, dass sie sich nicht nur wie ein Baum fühlte, sondern ganz deutlich spürte, wie Wurzeln aus ihren Fußsohlen und ihrer Wirbelsäule wuchsen und sich hinab in die dunkle Erde tasteten. Sie konnte in die Erde greifen, als habe sie plötzlich viele zusätzliche Hände und Finger bekommen. Der Boden war kühl, feucht, muffig, aber voller Nährstoffe. Immer noch zog es sie abwärts. Und sie wusste, dass die Wurzeln sie daran hindern würden, sich zu bewegen. Sie war eine Gefangene. Ich bin kein freies Wesen mehr, dachte sie. Ich bin ein Baum, ich sitze fest, die Erde lässt mich nicht mehr los.
    Doch allmählich gewöhnte sie sich daran. Auch wenn ihr Körper mit der Erde verwurzelt war, ihr Geist schien eine neue Freiheit gewonnen zu haben. Es war ein friedliches, angenehmes Gefühl, als ob sie schwebte.
    Einige Zeit verging. Adela nahm das dämmrige Zimmer wahr, den sanften Feuerschein, die stumm dasitzende Hexe. Dann aber geschahen zwei seltsame Dinge. Die graue Katze begann zu schreien. Sie wuchs und wuchs und verwandelte sich schließlich in ein Schwein. Adela fand das ziemlich komisch und begann zu lachen. Im nächsten Moment flog das Schwein zum Fenster hinaus, was in Adelas Augen eigentlich recht vernünftig war, da Schweine ja nicht ins Haus gehörten.
    Draußen war es dunkel geworden, doch durch das Dach der Hütte konnte sie den Himmel und die Sterne sehen. Ein merkwürdiger Anblick, denn obwohl sich Zweige und Moos noch an Ort und Stelle befanden, blickte Adela einfach durch sie hindurch. Und dann hatte sie das Gefühl, zu wachsen wie ein Baum; sie durchbrach das Dach und breitete ihre Krone aus, dem Nachthimmel entgegen.
    Und nun schwebte sie. Es war kinderleicht. Adela flog,

Weitere Kostenlose Bücher