Der Wald der Könige
beschienen vom Halbmond, im nächtlichen Himmel dahin. Sie trug keine Kleider mehr und vermisste sie auch nicht, denn sie spürte die kühle, ein wenig feuchte Luft auf ihrer Haut. Hoch flog sie über dem New Forest. Um sie herum scharten sich die Sterne und legten sich auf ihren Körper wie Diamanten. Eine kurze, wundervolle Zeit lang schwebte sie über den Wäldern, die unter ihr sanfte Wellen schlugen. Als sie schließlich eine Eiche bemerkte, die größer als die anderen war, steuerte sie darauf zu und erreichte ihre Zweige, wobei ihr undeutlich klar wurde, dass sie selbst dieser Baum war.
Wohlbehalten landete sie auf dem moosigen Boden. Dort entdeckte sie eine Reihe von Pfaden, die in alle Richtungen durch die ausladenden Eichen führten. Einer dieser Wege fiel ihr besonders auf, denn er ähnelte einem langen, schier endlosen Tunnel, der von einem grünlichen Licht erleuchtet wurde. In der Ferne bemerkte sie eine Gestalt, die rasch auf sie zukam. Obwohl sie sehr weit weg zu sein schien, hatte Adela sie im Nu erreicht, ja, es sah aus, als wolle sie sich auf sie stürzen.
Es war ein Hirschbulle, ein prächtiger Rothirsch mit weit verzweigtem Geweih. Er kam näher und näher. Er wollte zu ihr. Adela fürchtete sich. Aber sie war auch froh.
Schweigen. Dunkelheit. Vielleicht war sie ja kurz eingedöst. Nun saß sie wieder in dem kleinen Zimmer. Die graue Katze kauerte in der Ecke. Puckles Frau zeichnete erneut Diagramme, allerdings in umgekehrter Richtung wie zuvor. Nachdem die Hexe fertig war, blickte sie Adela an und meinte leise: »Es ist vollbracht.«
Eine Weile blieb Adela reglos sitzen und bewegte dann vorsichtig Hände und Füße. Sie fühlte sich schwerelos. »Ist etwas geschehen?«
»Oh, ja.«
»Was?«
Puckles Frau antwortete nicht. Das kleine Torffeuer tauchte den Raum in einen sanften Dämmerschein.
Als Adela aus dem Fenster sah, stellte sie fest, dass draußen schon der Abend angebrochen war. Sie fragte sich, wie lange sie sich wohl schon in diesem Haus befand. Gewiss mehr als eine Stunde, da es bereits dämmerte. Es war verabredet worden, dass sie bei den Prides übernachtete. Doch sicher würde Godwin den Rückweg auch bei Dunkelheit finden. »Ich muss gehen. Bald ist es Nacht«, meinte sie.
»Nacht?« Puckles Frau schmunzelte. »Ihr wart die ganze Nacht hier. Das da draußen ist das Morgengrauen.«
»Oh.« Adela war verdattert und versuchte, sich wieder zu fassen. »Du sagtest, es sei etwas geschehen. Kannst du es mir erklären? Wird Lady Maud…?«
»Ich habe ein Stück Eurer Zukunft gesehen.«
»Und?«
»Es wird einen Todesfall geben, der Euch Frieden bringt. Und auch Glück.«
»Also wird mein Wunsch in Erfüllung gehen?«
»Seid Euch nicht zu sicher. Es könnte auch etwas anderes sein, als Ihr Euch wünscht.«
»Aber ein Todesfall…« Adela sah die Frau an, doch diese schwieg, öffnete die Tür und rief Pride herbei. Adela stand auf. Offenbar wurde von ihr erwartet, dass sie sich jetzt verabschiedete. Auf dem Weg zur Tür überlegte sie, ob sie der Frau Geld geben oder sich einfach nur für ihre Hilfe bedanken sollte. Schließlich kramte sie zwei Pennys aus dem Beutel an ihrem Gürtel. Puckles Frau nahm die Münzen mit einem stummen Nicken entgegen. Offenbar war sie mit dieser Bezahlung einverstanden. Im fahlen Licht tauchte Pride auf, der ihr Pferd am Zügel führte.
»Danke«, sagte Adela zu Puckles Frau. »Vielleicht sehen wir uns wieder.«
»Vielleicht.« Puckles Frau betrachtete sie nachdenklich, doch ihre Miene war freundlich. »Vergesst nicht«, mahnte sie, »dass die Dinge im New Forest nicht immer das sind, was sie zu sein scheinen.« Mit diesen Worten verschwand sie im Haus.
Als sie hinauf zur Heide ritten, zeigte sich schon die erste Morgenröte. Der Mond war bereits untergegangen. Am klaren Himmel verblassten langsam die Sterne, und am östlichen Horizont schimmerte ein goldenes Licht.
Hoch über ihnen stimmte eine Lerche ihr Lied an – ein Freudenkonzert, das die Nacht vertrieb.
Adela war sehr zufrieden mit sich, als sie an diesem Nachmittag nach Winchester zurückkehrte. Sie war mit Pride gemächlich durch den New Forest, nördlich vorbei an Lyndhurst, geritten. Pride hatte sie erst verlassen, als sie kurz vor Romsey einem vertrauenswürdig wirkenden Kaufmann begegnet waren, der denselben Weg hatte.
Adela hatte überlegt, ob sie ihrer Freundin, der Witwe, verraten sollte, wo sie gewesen war. Doch sie war zu dem Schluss gekommen, dass es besser
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