Der Wald der Könige
Euch gefunden? Habt Ihr den Antrag angenommen?«
»Nein. Nein, das habe ich nicht.«
»Was ist es also? Gehört Euer Herz einem anderen?«
»Einem anderen? Wer sollte das sein?«
»Keine Ahnung.« Er zögerte. Dann seufzte er ungeduldig auf. »Meinetwegen dem Mann im Mond.« Er machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte erbost davon. Adela wusste, dass sie ihn schändlich behandelte. Ihr einziger Trost war, dass sie selbst mindestens ebenso – wenn nicht sogar mehr – litt wie er. Den restlichen Tag über ging sie ihm aus dem Weg.
Am nächsten Morgen war sie allein im Haus. Cola war mit den Vorbereitungen zur Jagd beschäftigt. Zuerst suchte er Puckle auf und musste dann dafür sorgen, dass in Brockenhurst, wo der Förster die nötigen Arrangements zum Empfang des Königs traf, ausreichend Ersatzpferde zur Verfügung standen. Auch Edgar wurde losgeschickt, um Verschiedenes zu erledigen. Adela war froh, ihm nicht begegnen zu müssen.
Da sie nichts Besseres zu tun hatte, ging sie am späten Nachmittag am Flussufer spazieren. Gerade wollte sie zum Haus zurückkehren, als plötzlich ein fremder Mann auf sie zutrat, der ihr etwas hinhielt. »Seid Ihr Lady Adela? Ich soll Euch das hier geben.« Der Gegenstand wurde ihr in die Hand gedrückt, und bevor sie etwas erwidern konnte, war der Mann schon verschwunden.
Es war ein kleines Stück Pergament, zusammengefaltet und versiegelt. Nachdem sie das Siegel erbrochen hatte, las sie die säuberlich in Französisch verfasste kurze Nachricht.
Ich werde am Morgen in Burley Castle sein. Hugh
Ihr Herz machte einen Satz. Kurz schien ihr, als sei die ganze Welt, ja, selbst der dahinströmende Fluss, stehen geblieben. Dann eilte sie, das Pergament fest in der Hand, zum Haus zurück.
So sehr Adela auch mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt war, wurde sie doch neugierig, als sie feststellte, dass Cola an diesem Tag einen Besucher gehabt hatte. Eigentlich wäre das nicht weiter von Bedeutung gewesen, hätte es sich nicht um denselben Fremden gehandelt, den sie schon einmal hier gesehen und der den alten Mann in so niedergeschlagene Stimmung versetzt hatte. Bei ihrer Ankunft war der Fremde mit Cola ins Gespräch vertieft. Doch wenig später brach er auf. Cola erschien erst wieder zum Abendessen.
Adela erschrak bei seinem Anblick, denn in ihm war eine Furcht erregende Veränderung vorgegangen. Seine Bedrücktheit hatte sich in finstere Wut verwandelt. Rasch aber wurde ihr klar, dass sich dahinter etwas anderes verbarg. Zum ersten Mal hatte sie den Eindruck, dass der alte Mann Angst hatte.
Als sie ihm das Wildragout servierte, nickte er ihr nur geistesabwesend zu. Und als er ihren Becher mit Wein füllte, stellte sie fest, dass seine Hand zitterte. Was um alles in der Welt konnte der Bote ihm gesagt haben, um ihn so aus der Fassung zu bringen? Auch Edgar, obwohl in Gedanken eigentlich anderswo, betrachtete seinen Vater besorgt.
Nach der kurzen Mahlzeit ergriff Cola das Wort: »Ihr beide bleibt morgen hier im Haus und rührt euch nicht von der Stelle.«
»Aber Vater…«, wandte Edgar verdattert ein. »Ich soll dich doch sicher auf die königliche Jagd begleiten.«
»Nein. Du bleibst hier. Du lässt Adela nicht aus den Augen.«
Die jungen Leute starrten einander verblüfft an. Auch wenn Edgar gewiss nichts dagegen hatte, ihr Gesellschaft zu leisten, war es für einen jungen Adeligen wie ihn eine große Ehre, mit dem König auf die Jagd zu reiten. »Darf er denn wirklich nicht mit?«, fragte sie deshalb schüchtern. »Es ist eine einmalige Gelegenheit, den König zu sehen.«
Doch anstatt Edgar zu helfen, löste sie mit ihrer Bemerkung nur einen Wutanfall aus. »Das kommt überhaupt nicht in Frage!«, polterte der alte Mann. »Er wird seinem Vater gehorchen. Und auch Ihr werdet tun, was man Euch sagt!« Er schlug mit der Faust auf den Tisch und sprang auf. »So lauten meine Befehle, und du, junger Mann« – er funkelte Edgar finster an –, »wirst sie befolgen.«
Bebend vor Zorn stand er da, ein Ehrfurcht gebietender alter Herr, dessen Macht man sich nicht entziehen konnte. Die beiden jungen Leute hielten es für klüger, ihm nicht zu widersprechen.
Als Adela später zu Bett ging, überlegte sie, wie sie sich bloß am nächsten Morgen davonschleichen sollte. Denn sie hatte keine andere Wahl, als Colas Anweisungen zu missachten.
Am folgenden Tag wurde sie kurz vor Morgengrauen von einem Geräusch geweckt. Die Stimmen waren zwar nicht laut, aber sie
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