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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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könnte sie verraten.
    Was sollte sie jetzt tun? Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. Doch dann standen ihr in der kühlen, grauen Morgendämmerung ihre Pflichten plötzlich wie fahle Gespenster vor Augen. Man plante, den König zu töten. Das war eine Todsünde. Etwas Schrecklicheres gab es nicht. War dieser Mann wirklich ihr König? Nein. Bis sie einen Vasallen des englischen Königs heiratete, galt ihre Treue selbstverständlich Robert. Allerdings war Walter ihr Verwandter. Auch wenn sie ihn nicht leiden konnte und er sich ihr gegenüber schäbig verhalten hatte, er war und blieb ihr Vetter, und sie musste ihn retten.
    Leise zog sie sich an. Nach einer Weile sah sie durch das offene Fenster: Cola ritt allein in der Dämmerung davon. Bogen und Köcher auf dem Rücken.
    Sie wartete, bis er außer Sichtweite war. Im Haus war es still. Vorsichtig stieg sie aus dem Fenster und kletterte hinunter.
    In ihrer Aufregung hatte sie nicht bemerkt, dass ihr auf dem Weg zum Fenster Martells Brief aus der Tasche geglitten war.
     
     
    Der Morgen graute, als Puckle sich mit seinem Wagen auf den Weg machte. Cola hatte ihm befohlen, sich an der Jagdhütte in Brockenhurst einzufinden und auf weitere Anweisungen zu warten. Außerdem hatte er die Aufgabe, die erlegten Hirsche fortzuschaffen.
    Seine Frau begleitete ihn zur Tür. »Du kommst heute Abend nicht nach Hause«, sagte sie zum Abschied.
    »Nein?«
    »Nein.«
    Nach einem fragenden Blick auf sie fuhr er los.
     
     
    Adela war auf der Hut gewesen. Sie hatte ihr Pferd in der Dunkelheit gesattelt, hatte es am Zügel neben dem Pfad durchs Gras geführt, um sich nicht durch Hufgetrappel zu verraten. Erst ein Stück weit von Colas Haus entfernt stieg sie auf und ritt langsam durch das Tal und in den New Forest.
    Der Gedanke, das Stelldichein mit Martell zu verpassen, ihm nicht einmal eine Nachricht zukommen zu lassen, war unerträglich. Aber sie durfte nicht tatenlos zusehen, wie Walter in sein Unglück lief. Am Castle Hill in Burley angekommen, wartete sie, so lange sie es wagte. Die Sonne stand schon hoch am Horizont, als sie es schließlich aufgab. Er war noch nicht erschienen. Da fiel Adela ein, sie könnte ja Puckle oder ein Mitglied seiner Familie bitten, Martell abzufangen und ihm etwas von ihr auszurichten. Also ritt sie den kleinen Bach entlang zu Puckles Haus. Doch unerklärlicherweise war niemand da. Und sie befürchtete, man würde über sie klatschen, wenn sie einen Fremden in Burley bat, ihre Botschaft zu überbringen Sie konnte nur noch hoffen, dass sie Walter rechtzeitig fand und Martell bei ihrer Rückkehr zum Castle Hill noch antraf. Deshalb ritt sie rasch weiter, um sich nur nicht zu verspäten.
    Wie sich herausstellte, hätte sie sich nicht zu beeilen brauchen.
     
     
    Was König Wilhelm I. genannt Rufus, Anfang August im Jahre des Herrn 1100 tat, ist mehr oder weniger bekannt. Am Monatsersten erließ er in seiner Jagdhütte in Brockenhurst ein Gesetz, speiste anschließend mit Freunden und ging zu Bett.
    Doch er schlief schlecht. Und deswegen brach er nicht schon bei Morgengrauen auf. Erst als die Sonne hoch am Horizont stand und die Baumwipfel rings um Brockenhurst funkelten, erhob er sich endlich und gesellte sich zu seinen wartenden Höflingen.
    Es war ein kleiner, erlauchter Kreis: Robert Fitz Hamon, ein alter Freund; William, der Schatzmeister aus Winchester; zwei weitere normannische Barone; drei Mitglieder der einflussreichen Familie Clare, die ihn schon einmal fast verraten hätte; schließlich sein jüngerer Bruder Heinrich, ein dunkelhaariger, temperamentvoller und dennoch zurückhaltender und nachdenklicher Mann – manche hielten ihn für genauso grausam wie seinen Bruder und seinen Vater; und zu guter Letzt Walter Tyrrell.
    Als sich der rothaarige König auf einer Bank niederließ, um sich die Stiefel anzuziehen, erschien ein Waffenschmied mit einem halben Dutzend frisch angefertigter Pfeile, um sie dem König als Geschenk zu überreichen.
    Rufus nahm sie entgegen und prüfte sie schmunzelnd. »Ausgezeichnete Arbeit. Das Gewicht stimmt. Der Schaft ist biegsam. Sehr gut gemacht«, beglückwünschte er den Waffenschmied. Dann warf er einen Blick auf Tyrrell und meinte: »Nehmt zwei davon, Walter. Ihr seid der bessere Schütze.« Als Tyrrell strahlend danach griff, fügte der König mit einem rauen Lachen hinzu: »Und wehe, wenn Ihr danebenschießt.«
    Es folgte das übliche Hofgeplänkel, das dazu diente, den König bei Laune zu halten.

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