Der Wald der Könige
schlief friedlich in einer niedrigen Wiege aus Weidengeflecht. Wegen seines dunklen Haarflaums fanden alle, dass er seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten sei. Zufrieden sah Martell sein Kind an. Dann richtete er den Blick auf Lady Maud.
Sie lag, auf einige Kissen gestützt, in dem kleinen Bett, das man für sie aufgestellt hatte, denn sie war gern bei ihrem Kind und verbrachte täglich viele Stunden mit ihm. Trotz ihrer Schwäche zwang sie sich ihrem Gatten zuliebe zu einem Lächeln. »Wie geht es dem stolzen Vater heute?«
»Gut, denke ich«, erwiderte er.
Schweigen entstand in dem sonnigen Raum.
»Sicher werde ich bald gesund.«
»Ganz bestimmt.«
»Es tut mir Leid. Gewiss ist es nicht leicht für dich, dass ich schon so lange krank bin. Als Ehefrau tauge ich nicht viel.«
»Unsinn. Das Wichtigste ist, dass du bald wieder auf dem Damm bist.«
»Ich will dir eine gute Gattin sein.«
Er lächelte, ohne es wirklich zu meinen, und blickte dann gedankenverloren zum offenen Fenster hinaus.
Er liebte sie nicht mehr. Aber er hatte keinen Grund, sich Vorwürfe zu machen, denn sein Verhalten während ihrer monatelangen Krankheit gab keinerlei Anlass zu Tadel. Er hatte sie versorgt und gepflegt, ihr Gesellschaft geleistet, ihre Hand gehalten und sie an den beiden Tagen, als sie sich dem Tode nah wähnte, so getröstet, wie nur ein Ehemann es vermag. Sein Gewissen war also rein.
Doch seine Liebe zu ihr war erkaltet. Er sehnte sich nicht mehr nach ihrer Nähe. Es ist nicht einmal ihre Schuld, dachte er. Er kannte sie einfach zu gut. Der Mund, den er geküsst und der sogar Worte der Leidenschaft ausgesprochen hatte, war nun reglos, schmal und verkniffen. Ihre Gefühle bewegten sich in so engen Grenzen, dass es ihm die Luft abschnürte, und die ordentlich gefegten Kammern ihres Verstandes langweilten ihn. Sie war so engherzig und phantasielos, obwohl man sie keineswegs als schwach bezeichnen konnte. Denn in diesem Fall hätte ihn die lästige Pflicht, sie zu beschützen, an sie gebunden. Aber sie war erstaunlich stark. So krank sie auch sein mochte, wenn sie überlebte, würde sich ihr Denken nicht verändern und weiter in seinen geordneten Bahnen verharren. Zuweilen erschien es ihm, als verliefe ein schnurgerader roter Faden durch das Innerste ihrer Seele – so dünn, dass er mühelos in ein Nadelöhr gepasst hätte, und dennoch gefeit gegen jegliche Veränderung.
Weshalb liebte sie ihn überhaupt? Schlicht und ergreifend aus gesellschaftlicher Notwendigkeit, was man ihr allerdings nicht verdenken konnte. Sie hatte sich ihr Leben genau zurechtgelegt und verfügte über die Mittel und Wege, ihre Pläne auch in die Tat umzusetzen. All ihr Streben war dahin gerichtet, dazustehen wie ein uneinnehmbares Bollwerk der Sittsamkeit. Und zu diesem Zweck brauchte sie einen Ehemann. Gab es überhaupt einen anderen Grund zu heiraten?
Deshalb war es nicht weiter erstaunlich, dass Hugh de Martell in solchen Augenblicken an Adela dachte.
Das war im vergangenen Jahr öfter geschehen. Das einsame, unbekümmerte Mädchen hatte ihn auf Anhieb neugierig gemacht. Und offen gestanden steckte noch mehr dahinter. Warum hatte er sie sonst in Winchester aufgesucht? Er konnte sich nicht dagegen wehren, dass sie sich immer wieder in seine Gedanken drängte und dass es ihm häufig schien, sie befände sich ganz in seiner Nähe. Vor einigen Tagen war er Cola, dem Förster, begegnet. Von ihm wusste er, wo sie sich aufhielt und dass sie sich nach ihm und seiner Familie erkundigt hatte. Beim letzten Vollmond hatte er sich plötzlich nach ihr gesehnt. Und vor drei Nächten hatte er sogar von ihr geträumt.
»Ich reite aus«, verkündete er unvermittelt, nachdem er eine Weile aus dem Fenster geblickt hatte.
Am frühen Nachmittag erreichte er Colas Haus. Der alte Mann war nicht da, dafür aber sein Sohn Edgar. Und Adela.
Er übergab Edgar sein Pferd und schlenderte mit Adela den Pfad entlang zum Avon, wo die Schwäne über das Wasser glitten. Die langen, grünen Flussalgen schwankten sanft in der Strömung. Sie plauderten – er wusste später kaum noch, worüber –, und dann schlug er ihr vor, sich doch unter vier Augen wieder zu sehen, wenn er ihr eine Nachricht zukommen ließ.
Sie stimmte zu.
Nachdem sie sich wieder zu Edgar gesellt hatten, bedankte sich Martell übertrieben förmlich bei Adela für die Anteilnahme, die sie seiner Familie in dieser schweren Zeit entgegengebracht hatte. Den jungen Mann bedachte er mit einem
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