Der Wald der Könige
mit dem Pony… das war wirklich ein Schlag ins Gesicht gewesen. Was war John Pride nur für ein Schwager, dass er einfach achselzuckend ein Pony für sich beanspruchte, das von seiner, Tom Furzeys, Stute geworfen worden war? Er nimmt mich nicht ernst, dachte Tom. Und jetzt habe ich die Bestätigung dafür bekommen.
Selbst als er mit eigenen Augen das Fohlen in Prides Pferch gesehen hatte, wollte er es erst nicht fassen. Und als er seinen Schwager schließlich zur Rede stellte, hatte der ihn nur ausgelacht.
Tom hatte ihn einen Dieb genannt. Unter Zeugen. Nun, das war er ja auch, daran bestand kein Zweifel. Daraufhin war der Streit immer heftiger geworden.
Aber was Maria betraf, lag die Sache ganz anders. Schon am ersten Tag – obwohl sie ganz genau gewusst hatte, was zwischen ihm und ihrem Bruder vorgefallen war – war sie sofort zu Pride gelaufen und hatte schön mit ihm getan. »Hast du ihm nicht gesagt, er soll das Pony zurückgeben?«, hatte Tom getobt. Doch sie hatte ihn nur verdattert angesehen. Sie war nicht einmal auf den Gedanken gekommen, ihrem Mann zu helfen. Das war die schmerzliche Wahrheit. Der arme, alte Tom war für Maria nur ein Trottel, den sie aus Bequemlichkeit geheiratet hatte. Und mehr bedeute ich den Prides auch nicht, dachte er.
Doch ganz gleich, was Maria von ihm hielt, sie schuldete ihm, dem Familienoberhaupt, Gehorsam. Was für ein Beispiel bot sie den Kindern, wenn sie vor den Augen des ganzen New Forest seine Befehle missachtete? Also hatte er ihr verboten, John Pride zu besuchen. War das nicht die richtige Entscheidung gewesen? Seine Schwester teilte jedenfalls seine Ansicht. Und viele andere auch. Denn so mancher im New Forest hatte keine sehr gute Meinung von den Prides, die immer die Nase so hoch trugen.
Allerdings machte es Tom Furzey schwer zu schaffen, dass seine Frau sich ihm gegenüber von Tag zu Tag kühler verhielt.
Nun, heute würden die Prides ihr blaues Wunder erleben. Zumindest würde sich endlich etwas ändern.
Während er noch grübelte, sah er – etwa anderthalb Kilometer entfernt – Puckle auf einem Wildpony vorbeireiten. Offenbar schleppte er eine Last hinter sich her.
Es waren zehn Reiter. Die Hunde kläfften wild. Der Prior hatte sie an Bruder Lukes Bettzeug schnuppern lassen, und nun verfolgten sie seine Spur vom Gut aus. Der königliche Beauftragte für den New Forest führte den Suchtrupp an. Zwei der Reiter waren adelige Förster, zwei Forstgehilfen, die anderen Diener.
Als der Suchtrupp den Weiler erreichte, stand zum Erstaunen der Männer plötzlich Tom Furzey vor ihnen und ruderte wild mit den Armen durch die Luft. »Ich weiß, wo er ist!«, rief er.
Die Reiter hielten inne. Der königliche Beauftragte betrachtete Furzey streng. »Hast du ihn gesehen?«
»Das brauche ich nicht. Ich weiß auch so, wo er ist.«
Der königliche Beauftragte runzelte die Stirn und sah den hellhaarigen, stattlichen Mann neben sich an. »Alban?«
Philip le Alban war ein vom Glück gesegneter junger Adeliger. Vor zweihundert Jahren hatte sein gleichnamiger Vorfahr, Sohn der Normannin Adela und ihres angelsächsischen Ehemannes, seine Stellung in der zunehmend französisch geprägten Gesellschaft Englands zur Zeit der Plantagenets nicht halten können. Doch seine Nachfahren, die den Namen Alban über viele Generationen hinweg beibehielten, dienten als Unterförster unter verschiedenen Gutsherren. Und als Lohn für diese lange Treue, und auch weil er eine gute Partie gemacht hatte, war Alban zum Förster des neuen Südbezirkes befördert worden. Niemand kannte den New Forest und dessen Bewohner besser als er. »Wo steckt er, Tom?«, fragte er jetzt wohlwollend.
»In John Prides Haus natürlich!«, rief Tom aus und machte ohne ein weiteres Wort kehrt, um die Männer dorthin zu führen.
»Der Flüchtige und Pride sind nämlich Brüder«, erklärte Alban. Und da die Hunde tatsächlich in diese Richtung strebten, nickte der königliche Beauftragte barsch und gab Anweisung, Tom zu folgen.
Pride war nicht zu Hause, wohl aber seine Familie. Schweigend sahen Frau und Kinder zu, wie zwei der Männer die Hütte ergebnislos durchsuchten. Auch auf dem übrigen kleinen Bauernhof war nichts zu entdecken.
Furzey wies unter wildem Gefuchtel auf den Kuhstall. »Dort müsst Ihr nachsehen!«, schrie er. »Dort drin!«
Er klang so aufgeregt, dass sich der gesamte Suchtrupp in den kleinen Schuppen drängte. Doch es dauerte nicht lange, um festzustellen, dass sich niemand darin
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