Der Wald der Könige
Prides Kuhstall. Er konnte es nicht frei im New Forest umherlaufen lassen, da die Furzeys es sonst sofort eingefangen hätten. Und deshalb lebte das kleine Tier in Gefangenschaft wie ein Ritter, der darauf wartet, dass man Lösegeld für ihn bezahlt. Der ganze New Forest wartete ab, wie es weitergehen würde. Aber für Mary spielten sich die eigentlichen Schwierigkeiten innerhalb ihrer vier Wände ab.
Sie durfte ihren Bruder John nicht sehen, obwohl der doch nur wenige hundert Meter entfernt im selben Weiler wohnte. Sein Haus war für sie nun Feindesland. Einige Tage nach Beginn des Streites hatte sie ihn besucht, ohne groß darüber nachzudenken. Als ihr kräftiger Ehemann nach Hause kam, hatte er bereits davon erfahren. Und was er gehört hatte, hatte ihm gar nicht gefallen. Oh, das hatte er ihr unmissverständlich klargemacht. Von diesem Tage an war es ihr untersagt, auch nur ein Wort mit John zu sprechen, jedenfalls solange das Pony sich in seinem Besitz befand.
Was sollte sie tun? Tom Furzey war ihr Ehemann. Selbst wenn sie sich entschlossen hätte, seinen Befehl zu missachten und sich heimlich aus dem Haus zu schleichen – Toms Schwester wohnte auf halbem Wege zwischen den Furzeys und den Prides und hätte sie gewiss verpetzt. Dann würde es wieder zu einem heftigen Streit kommen, unter dem nur die Kinder leiden würden. Also hatte sie sich in ihr Schicksal gefügt, und natürlich konnte Johann sie ebenfalls nicht besuchen.
Maria ging nach draußen. Der Herbstnachmittag war noch warm. Bedrückt blickte sie nach oben und betrachtete den blauen Himmel. Er sah metallisch und bedrohlich aus. Noch nie zuvor hatte sie sich allein mit der Gesellschaft ihres Mannes begnügen müssen.
Immer noch starrte sie zum leuchtenden Himmel hinauf, als sie aus den Bäumen einen Pfiff hörte. Sie runzelte die Stirn. Da erklang noch ein Pfiff. Sie ging auf das Geräusch zu, und wenige Minuten später erkannte sie zu ihrer großen Überraschung, wer sich da hinter einem Baum versteckte.
Es war ihr kleiner Bruder Luke aus der Abtei von Beaulieu, der sehr verängstigt wirkte.
In dem Morgennebel bemerkte Bruder Adam die Frau nicht gleich. Außerdem war er tief in Gedanken versunken.
Die Ereignisse des Vortages hatten das ganze Kloster erschüttert. Bis zur Abendmesse wussten alle von dem Zwischenfall. Es geschah nicht häufig, dass die Mönche das Bedürfnis hatten, miteinander zu reden. Die Zisterzienser legen zwar kein Schweigegelübde ab, beschränken jedoch ihre Gespräche auf wenige Stunden am Tag. Und während der langen Zeit des Schweigens im Kloster scheint die Zeit langsamer zu vergehen, weshalb niemand es besonders eilig hat. Wenn man heute eine Nachricht nicht loswerden konnte, war auch noch am nächsten Tag Gelegenheit dazu. An diesem Abend jedoch brannten alle darauf, sich endlich auszutauschen.
Bruder Adam wusste, dass man dem Gerede Einhalt gebieten musste. Eine derartige Aufregung lenkte nicht nur vom Glauben ab, sondern legte sich wie ein licht- und schallundurchlässiger Schleier zwischen die Menschen und Gott. Gott hörte man am besten in der Stille. Also war Bruder Adam froh, als nach dem Compline wieder summum silencium herrschte, das absolute Sprechverbot, das bis zum Frühstück dauerte.
Die Nacht hatte für Bruder Adam eine ganz besondere Bedeutung, denn sie spendete ihm Trost. Hin und wieder befürchtete er, etwas verpasst zu haben, indem er sich für das Klosterleben entschieden hatte. Manchmal sehnte er sich nach den klugen Köpfen, denen er in Oxford begegnet war. Und natürlich verfluchte er zuweilen die Glocke, die ihn mitten in der Nacht aus dem Bett riss, sodass er in seine Filzpantoffeln schlüpfen und die kalten Steinstufen zur dunklen Kirche hinuntergehen musste. Doch selbst dann – wenn er bei Kerzenlicht Psalmen sang, während draußen die unzähligen Sterne über das Kloster wachten – erschien es Bruder Adam, als könne er die Gegenwart Gottes mit Händen greifen. Und er dachte, dass ein dem Gebet geweihtes Leben einer Mauer, so dick wie die eines Klosters, glich, die es einem ermöglichte, sich einen stillen und ungestörten Ort in seinem Inneren zu bewahren und auf diese Weise die lautlose Stimme des Universums zu hören. Und so lebte Bruder Adam innerhalb der schützenden Mauern seines Gebets und spürte nachts die Gegenwart Gottes.
In letzter Zeit empfand er den Morgen als besonders angenehm. Vor einigen Monaten hatte er das Bedürfnis gehabt, in sich zu gehen, und den Abt
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