Der Wald der Könige
gebeten, ihm deshalb für eine Weile nur leichte Arbeiten zuzuteilen. Sein Wunsch war erfüllt worden. Nach der Prime bei Morgengrauen und dem Frühstück, das die Chormönche in ihrem frater, die Laienbrüder in ihrem domus verzehrten, unternahm er für gewöhnlich allein einen Spaziergang.
Es war ein schöner Morgen gewesen. Herbstnebel hing über dem Fluss. Am gegenüberliegenden Ufer schimmerten die Blätter der Eichen golden in der Morgensonne. Die Schwäne glitten aus dem Dunst hervor, als seien sie auf wundersame Weise dem Wasser entsprungen. Bei seiner Rückkehr war er noch so im Bann dieses Anblicks von Gottes Schöpfung, dass er die Frau kaum bemerkte. Er sah sie erst, als er sich den Bettlern näherte, die an der Klosterpforte auf ihre täglichen Almosen warteten.
Sie war eine recht hübsche Frau, offenbar keltischer Abstammung, hatte ein breites Gesicht, blaue Augen und machte einen klugen Eindruck. Gewiss gehörte sie zu den Einwohnern des Waldes. Anscheinend wollte sie mit jemandem sprechen, und sie sah ihn schüchtern an.
»Ja, mein Kind?«
»Oh, Bruder, es heißt, Bruder Matthew ist getötet worden. Mein Mann arbeitet während der Erntezeit für die Abtei. Bruder Matthew war immer sehr gut zu uns. Wir haben uns gefragt…« Ihre Stimme erstarb, und sie wirkte besorgt.
Bruder Adam runzelte die Stirn. Wahrscheinlich wusste inzwischen der ganze New Forest über die gestrigen Ereignisse Bescheid. Die Abtei beschäftigte nicht nur Laienbrüder, sondern gab auch vielen anderen Waldbewohnern hin und wieder Arbeit. Der freundliche Matthew war sicher sehr beliebt gewesen. Bruder Adam zwang sich zu einem Lächeln. »Bruder Matthew lebt, mein Kind.« Die ersten Berichte waren wie immer ziemlich verworren gewesen. Bruder Matthew hatte einen heftigen Schlag abbekommen und viel Blut verloren, doch zum Glück hatte er es überstanden. Nun lag er im Krankenlager des Klosters und hatte sogar schon ein wenig Brühe zu sich genommen.
Die Erleichterung stand ihr so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass Bruder Adam gerührt war. Wie schön, dass sich diese Bauersfrau solche Sorgen um den Mönch machte.
»Und was geschieht mit denen, die die Tat auf dem Gewissen haben?«
Ah. Er verstand. Klöster waren dafür berüchtigt, dass sie ihre Angehörigen vor dem Gesetz schützten, eine Praxis, die allgemein abgelehnt wurde. Nun, in dieser Hinsicht konnte er sie beruhigen.
Der Abt hatte vor Wut getobt. Vor etwa fünfzehn Jahren war es zu einem ähnlichen Vorfall gekommen: eine große Gruppe von Wilderern und der Verdacht, dass die Laienbrüder auf einem der Güter mit ihnen unter einer Decke steckten. Dieser Umstand – verbunden mit der wenig wohlwollenden Schilderung von Lukes Charakter durch den Prior – hatte den Ausschlag gegeben. »Der Laienbruder, der ihn geschlagen hat, genießt nicht den Schutz der Abtei«, versicherte Bruder Adam deshalb der Frau. »Die Gerichte werden sich mit ihm befassen.«
Sie nickte stumm und sah ihn dann nachdenklich an. »Könnte es nicht ein Unfall gewesen sein?«, fragte sie. »Wenn der Laienbruder bereut, würde man ihm dann nicht Gnade gewähren?«
»Du hast Recht, so vorsichtig zu urteilen«, erwiderte er. »Wir alle bedürfen der Gnade Gottes.« Sie war wirklich eine gutherzige Frau, denn sie fürchtete um das Leben des Mönches und hatte dennoch Mitleid mit dem Übeltäter. »Doch wir alle müssen die rechtmäßige Strafe für unsere Verfehlungen auf uns nehmen.« Seine Miene war streng. »Weißt du, dass der Bursche geflohen ist?« Sie schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Aber man wird ihn schon finden.« Der königliche Beauftragte für den New Forest war am Morgen von der Flucht in Kenntnis gesetzt worden. »Man wird ihn mit Hunden suchen.«
Mit einem freundlichen Nicken ließ er sie stehen. Die arme Maria eilte mit klopfendem Herzen über die Heide zurück zu der Stelle, wo sie am Vorabend ihren Bruder Luke versteckt hatte.
Tom Furzey ballte die Fäuste. Jetzt würden sie kriegen, was sie verdienten. Schon konnte er die Hunde in der Ferne hören. Er war kein schlechter Mensch, doch in letzter Zeit waren ihm eine Menge unangenehme Dinge widerfahren. Manchmal wusste er nicht mehr, was er von alldem halten sollte.
Tom Furzey wusste genau, dass die Prides ihn insgeheim verachteten. Allerdings war der gegenseitige Umgang bis jetzt immer locker und freundschaftlich gewesen. Schließlich gehörten sie alle in den New Forest, waren gewissermaßen eine Familie. Aber die Sache
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