Der Wald des Vergessens
übrigen hätte sie durch ein Gespräch unter vier Augen nur die gefahrvolle Aufgabe, Andy in ein Dilemma zu stürzen, auf ihren Mann abgewälzt.
Sie fuhr fort: »Den Namen Walker hat Wendy mit ihrer Verheiratung angenommen. Sie hat ihn nach der Trennung von ihrem Mann beibehalten, zum einen, weil sie Spaß an der Alliteration hatte, und zum anderen, weil sie keine Lust hatte, noch einmal durchzumachen, was sie, in ihrer Kindheit wegen ihres Mädchennamens durchmachen mußte. Sie hieß Shufflebottom.«
Sie hielt inne und sah die drei Männer an. Pascoes Stirnrunzeln vertiefte sich. Dalziel sagte: »Ist doch nichts dran auszusetzen. Shufflebottom ist ein ehrlicher Name hier in Yorkshire.«
Ja, dachte Ellie. Wenn man ein Junge ist, der auch ehrliches Yorkshire ist, mit Stiernacken und Fäusten wie Pranken.
Und Wield, dessen Verstand Verbindungen herstellte wie ein Bradshaw [42] , sagte: »Den Namen trug der Wachmann, der in Redcar getötet wurde.«
»Wendys Bruder«, sagte Ellie. »Nachdem er die Schule abgeschlossen hatte, fing er in Burrthorpe im Bergwerk an. Als nach dem Streik Personal abgebaut wurde, gehörte er zu den ersten, die sich eine Abfindung auszahlen ließen und ihren Hut nahmen. Zwischen Wendy und ihrem Bruder kam es deshalb zum Streit. Wendy sagte, keiner dürfe sich auskaufen lassen. Mark sagte, er müsse an seine Frau und drei kleinen Kinder denken. Er kassierte das Geld, nahm einen Job als Wachmann an und zog nach Redcar. Wendy hat ihn erst wiedergesehen, nachdem die Zeche Burrthorpe geschlossen war. Ihr war nämlich aufgegangen, daß sie den Scheißkerlen in Westminster durch ihr Verhalten die Möglichkeit gab, sogar einen Keil zwischen sie und ihr eigenes Fleisch und Blut zu treiben. Also besuchte sie ihren Bruder. Das war in diesem Jahr. Ihr Bruder schlachtete vor Freude das sprichwörtliche Kalb. Man empfing sie mit offenen Armen. Die Kinder waren entzückt, ihre Tante wiederzusehen. Ihre völlig unpolitische Schwägerin war begeistert, in dem alten Kampf der Frauen von Yorkshire, den Mann im Haus in Schach zu halten, wieder eine Verbündete zu haben. Mark wollte, daß sie zu ihnen in die Nähe zog, um ein neues Leben zu beginnen. Sie ging zurück nach Burrthorpe und dachte ein paar Wochen darüber nach. Sie hatte sich gerade zum Umzug entschlossen, als die Nachricht vom Anschlag der Tierschützer bekannt wurde. Und vom Tode Marks.«
Sie machte eine Pause, um einen Schluck zu trinken.
Dalziel sah sie an, ohne zu blinzeln. Er weiß, wohin das führt, dachte sie.
»Sie war am Boden zerstört. Verständlicherweise. Sie hatte ihren Bruder wiedergefunden und für immer verloren, und das alles innerhalb weniger Wochen. Sie machte sich nicht allzu viele Gedanken darüber, wer ihn getötet hatte, zuerst nicht. Für jemand ihrer Herkunft hatte sie ein erstaunlich großes Vertrauen in die Polizei. Sie würde den Täter schnappen, man würde ihm den Prozeß machen, er würde verurteilt und vielleicht für zehn Jahre eingebuchtet. Es würde nichts daran ändern, daß ihre Schwägerin nun Witwe war und daß ihre Neffen keinen Vater mehr hatten. Oder sie selbst ohne festen Halt in einer Welt lebte, die nicht länger viel Sinn machte. Erst als es zu dem zweiten Anschlag kam, dem im Sommer auf Wanwood, von dem es in den Zeitungen hieß, alles deute darauf hin, daß er von derselben Gruppe wie der in Redcar ausgeführt worden sei, ging ihr auf, daß der Mörder ihres Bruders lebte, daß es ihm gutging und daß er seinen Geschäften wie gehabt nachging. Sie las in der Zeitung, daß Peter der für den Fall zuständige Beamte sei. Und sie kam mich besuchen.«
Sie sprach nur noch mit Peter.
»Ich hatte seit … Ewigkeiten nichts von ihr gehört. Sie wollte nur wissen, ob Aussicht auf eine Verhaftung bestand. Ich sagte, daß ich mit Außenstehenden nicht über deine Arbeit sprechen könnte. Da hat sie mir gesagt, warum sie es wissen wollte. Ich versprach ihr, dich zu fragen.«
»Und hast du mich gefragt?«
»Das war nicht nötig. Du bist an jenem Abend völlig fertig nach Hause gekommen und hast gesagt, daß du nichts findest und daß Andy dir geraten habe, die Sache auf Eis zu legen und zu warten, bis etwas geschieht, das sie wieder aktuell macht. Wenn ich dich hätte fragen müssen oder wenn der Fall fortgeführt worden wäre, hätte ich dir alles erzählt. Aber so bestand keine Notwendigkeit.«
Keine Notwendigkeit, um Wendy Walker und Burrthorpe mit den ganzen dazugehörigen leidvollen Erfahrungen
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