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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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und dem runden, lächelnden, fast ungeschminkten Gesicht wäre sie auf einem Betjeman-Tennisturnier [39] nicht fehl am Platze gewesen. Doch kaum versuchte man, sie mit einem Etikett zu versehen, war ihre gesunde, frische Haut das reinste Teflon.
    Politisch paßte gar nichts auf sie, vom verrückten Flügel der Linken [40] bis zur rabiaten Rechten. Gesellschaftlich bewegte sie sich die Schichten hinauf und hinunter, als hätte sie eine automatische Gangschaltung eingebaut. Sexuell gab sie keinen Hinweis darauf, ob sie vestalisch oder venerisch, glatt rechtsgestrickt oder andersherum war. Ihre Art war gewandt und freundlich, und doch war sie förmlich wie ein alter Oberlehrer. Von Ellie aufgefordert, sie doch beim Vornamen zu nennen, hatte sie lächelnd erwidert: »In Gedanken werde ich Ellie zu Ihnen sagen, aber um konsequent zu sein, möchte ich doch lieber bei Mrs. Pascoe bleiben.«
    »Und wie soll ich an Sie denken?« fragte Ellie.
    »Wenn alles gutgeht, hoffe ich, so wenig wie möglich«, hatte die Antwort gelautet. Also schwierig festzunageln. Aber wenngleich sie wie ein Schmetterling durch die Lüfte zu taumeln schien, so konnte sie dennoch wie eine Biene stechen.
    »Nachdem wir telefoniert hatten, habe ich mit Rosies Klassenlehrerin gesprochen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, daß Rosie sich jemals unpassend ausgedrückt hätte.«
    Eine Sprache, die »schlecht« war, gab es nicht. Wenigstens darin stimmten sie überein.
    »Vielleicht«, sagte Ellie, »weil sich in der Lernsituation keine Gelegenheit bot, bei der sie ihr angebracht vorkam.«
    »Auch außerhalb des Klassenzimmers haben wir ihre Art zu sprechen überwacht – im Rahmen des menschlich Möglichen und Erwünschten. Beim Spielen. Selbst bei ziemlich heftigem Streit mit ihren Freunden über eine Information oder Reihenfolge. Dasselbe.«
    »Was wollen Sie damit sagen, Ms Martindale?« Besser als mit diesem »Ms« bekam Ellie die Beziehung nicht in den Griff. »Daß ich mir einbilde, daß Rosie unangebrachte Wörter gebraucht?«
    »Natürlich nicht.« Da war das offene, unwiderstehliche Lächeln. »Es soll einfach heißen, daß Sie und Ihr Mann, soweit wir wissen, die einzigen sind, die in einer Situation dabei waren, in der Rosie das Gefühl gehabt zu haben scheint, daß die von ihr gewählte Sprache angemessen ist.«
    Ellie brauchte eine Mikrosekunde, um ihre Fassungslosigkeit zu überwinden und die Botschaft zu verdauen.
    »Das heißt, es ist unsere Schuld?«
    »Bitte, Mrs. Pascoe, ich bin nicht davon ausgegangen, daß wir hier Schuldzuweisungen vornehmen wollen. Ich dachte, wir hätten uns zusammengesetzt, um über etwas zu sprechen, was Sie als Problem ansehen, und nicht wegen einer Sache, worin andere einen Grund zur Beschwerde sehen könnten.«
    Ellie riß sich zusammen.
    »Sie haben ganz recht«, sagte sie. »Ich sehe es in der Tat als Problem. Und wenn es, wie es wahrscheinlich ist, seine Ursachen hier in der Schule hat, dann beschwere ich mich tatsächlich.«
    »Gut. Ihre Beschwerde lautet also, daß Ihre Tochter in der Schule neue Wörter und Sätze lernt?«
    Ellie wurde ganz steif auf ihrem Stuhl und schürzte die Lippen. Dann dachte sie entsetzt, ich schürze doch wohl nicht etwa meine Lippen! Das hat Mama immer gemacht, wenn sie in einen Anfall selbstgerechter Empörung verfiel.
    Sie sah, wie Ms Martindale sie ernst betrachtete, mit dem Anflug eines zurückgehaltenen Lächelns auf dem großzügigen Mund. Beide sahen sich an. Und allmählich wich die Spannung aus Ellies Schultermuskeln, und sie wurde wieder locker.
    »O Scheiße«, sagte sie.
    »Ist das als Ausruf zu verstehen oder als Beschreibung?«
    »Es schien mir nur gerade zu passen.«
    Ms Martindale überlegte, und das Lächeln kam an die Oberfläche.
    »Da kann ich Ihnen nur von Herzen zustimmen.«
    Als Ellie zehn Minuten später aufbrach, hielt sie Miss Martindale die Hand hin und sagte: »Danke, Miss Martindale.«
    Ein leises Lächeln flackerte auf, wegen des »Miss« [41] .
    »Es ist mir immer ein Vergnügen, Ms Pascoe«, erwiderte die Rektorin.
    Noch im Auto lächelte Ellie. Man vergaß leicht, dachte sie, in Gedanken noch bei Miss Martindale, daß man zwar selten mit einem Siegesgefühl nach Hause fuhr, sich dafür aber einfach gut fühlte, wenn man es hinter sich gebracht hatte. Sie fuhr in die Stadtmitte. Irgendwo auf der Straße zu parken, war so gut wie unmöglich, und das Parkhaus mochte sie nicht. Spontan bog sie auf den Parkplatz des Schwarzen Bullen ein. Das war

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