Der Wald des Vergessens
herrschte Rückenwind oder Fritz probierte einen neuen Minenwerfer aus. Aber da war er, ein kleiner schwarzer Fleck in der Luft, der langsam auf uns zu taumelte. Die meisten von uns wagten gar keinen Blick hinauf. Wenn Jammy brüllte: Koffer von links!, dann warf man sich nach rechts und tauchte in das erste Loch, das man fand. Das taten auch alle, außer Hurly Burly. Er hatte seinen Sam Browne abgelegt. Vielleicht lag es daran. Jemand sagte, er sei abgezischt wie eine verbrühte Katze. Nur nicht nach rechts, sondern nach links. Was noch von ihm übrig war, konnte man in einem Eimer unterbringen.
Es war kein gutes Omen, und wir waren niedergeschlagener als üblich, als wir uns fertig machten, um Jammy durch die Dunkelheit zu unserer Stellung an der Front zu folgen. Dann wurde er vom Adjutanten gerufen, und ein wenig später kam er zurück und hatte jemanden im Schlepptau. Unteroffizier Pascoe, sagte er. Das ist unser neuer Zugführer.
Ich wußte, wer es war, bevor ich noch sein Gesicht sah und seine Stimme hörte.
Hallo, Pascoe, sagte Gertie Grindal. Ist das nicht nett?
Ja, Sir, sagte ich mit einem Blick auf Jammy, dessen grobschlächtiges Gesicht sich nichts anmerken ließ. Wohin genau gehen wir, Sir?
Südwestliche Ecke von so ’nem Wald, wie heißt der noch, Feldwebel?
Sanctuary, Sir, sagte Jammy.
Ich hab schon eine ganze Menge irreführender Namen für schreckliche Orte gehört, aber Zuflucht klang, als wäre es der unpassendste von allen.
Besonders wenn Gertie das Kommando hatte.
Stimmt, sagte er. Hübscher Name, nicht? Sorgen Sie also dafür, daß die Leute aufbrechen. Und wenn Sie sie aufmuntern müssen, dann sagen Sie ihnen, daß wir zum Sanctuary unterwegs sind, das sollte ihnen Beine machen, was? Sanctuary!
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Zweiter Teil
GLENCORSE
And nothing may we use in vain.
Ev’n Beast must be with justice slain
Else men are made their deodands. [21]
Eins
Meditation über den Heldengedenktag
von
Andrea Pollinger
P asschendaele war nicht so sehr eine Übung in moderner Kriegsführung als ein Experiment zum Massenselbstmord.
Die zeitgenössische Entsprechung wäre, ein Terrain von mehreren Tausend Quadratkilometern mit taktischen Atomwaffen zu zerstören und dann eine Streitmacht ungeschützter Soldaten hineinzuschicken, die es besetzen sollen. Wehrdienstleistende der 1950er Jahre versicherten mir, daß diese Taktik damals tatsächlich von der britischen Armee geübt wurde, was vermuten läßt, daß sich wenig geändert hat und die Männer an der Spitze Kriege von heute immer mit der Technologie von gestern führen wollen. Im Mittelpunkt der Strategie des Ersten Weltkriegs stand die Überlegung, daß jedermann an Weihnachten … oder Neujahr … oder Ostern … oder … wieder zu Hause wäre, wenn es nur gelänge, die feindliche Linie zu durchlöchern und die Kavallerie hindurchpreschen zu lassen.
Aus Fairness sollte man erwähnen, daß Haigs Strategie für die dritte Schlacht bei Ypern bescheidener war. Er verfolgte die Absicht, den Feind bis hinter Brügge zurückzutreiben und so die U-Boot-Versorgung von Brügge nach Ostende abzuschneiden.
Ursprünglich war man von einem gleichzeitigen Angriff der Marine auf die Küste ausgegangen, aber als die Admiralität zu dem Schluß kam, daß ihr das nicht in den Kram passe, entschloß sich Haig, loszuschlagen, vielleicht in der Annahme, daß das fehlende maritime Element durch die Wahl des Schlachtfelds ersetzt werde, das letztendlich ein Sumpfgebiet war, aus dem man noch nicht einmal mit Hilfe eines aufwendigen Systems von Entwässerungsgräben und Deichen mehr als morastiges Weideland hatte machen können. Kein vernünftiger Bauer hätte auf diesem Land seine Saat ausgebracht. Aber Haig, der Esel, der nichts aus dem gescheiterten Versuch des Sturmreifschießens an der Somme im Jahr zuvor gelernt hatte, säte dort zehn lange Tage Granaten.
Diesmal warnte das lange Bombardement die Deutschen nicht nur frühzeitig vor dem bevorstehenden Angriff, sondern es führte auch dazu, daß viele Deiche brachen und dadurch die Entwässerungsgräben blockiert wurden. Und es begann zu regnen. Man darf wohl voraussetzen, daß der Regen selbst einem General hätte auffallen sollen. Und man darf wohl ebenfalls davon ausgehen, daß der General einer Armee, die seit fast drei Jahren buchstäblich im Schlamm festsaß, vorher das Gelände hätte erkunden lassen. Doch in gigantischer Ignoranz über den Dingen stehend, gab Haig den Befehl, den
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