Der Wald des Vergessens
alles, was Sie uns über ihren Aufenthaltsort sagen können …«
Sie schüttelte heftig den Kopf und sagte: »Finden Sie die Hure, und Sie haben ihn gefunden. Von denen hat keiner was getaugt. Kein einziger.«
»Die Hure? Was meinen Sie denn damit?« fragte er.
»Sie! Die blöde Kuh! Die mit dem anderen verheiratet war, dem Windei, das Fersengeld gab und seine Leute sitzenließ, und so hat man ihn gefesselt und erschossen. Die sind alle gleich, es liegt am Blut. Eine schlimme Bande.«
Die Alte war verrückt. Ihr Verstand war so schräg wie ihr Körper, sagte Pascoe sich. Und ich bin nicht weniger verrückt, ihrem wirren Gerede zuzuhören. Hör auf. Fahr nach Hause. Bestell deinen Garten. Spiel mit deinem Kind. Geh mit deiner Frau ins Bett.
Er sagte fest: »Sie sprechen von Peter, ja?«
»Ja, den meine ich. Das aufgeblasene Miststück. Bildete sich Wunder was ein, wer er war. Und seine Mutter war kein Stück besser. Und die andere blöde Kuh. Was war sie stolz, daß er Feldwebel war, und die ganze Zeit hat er heimlich den König umbringen wollen!«
Es war der reinste Irrsinn! Aber nun konnte er nicht einfach abhauen.
Er sagte: »Und der andere, der mit der … Hure … durchbrannte?«
»Der verdammte Onkel Steve, natürlich! Ist einfach mit ihr auf und davon. Nie wieder ein Wort zu Tantchen Mary. Nie wieder ein Gedanke an den Jungen, obwohl der so wenig taugte wie der Rest, bei dem Blut. Die Armee hat gesagt, er hat sich nach Amerika abgesetzt, aber wir haben gewußt, wo er war. O ja, wir haben es gewußt!«
Er mußte das unbedingt genau verstehen. Auch boshafter Irrsinn mußte aufgezeichnet werden, wenn man ihn widerlegen wollte.
Er sagte: »Und die … Hure, wie Sie sie nennen, sie war die Frau des Vetters, Peter Pascoes Frau?«
»Stimmt genau. Alice Clark hieß die. Sie verstand sich drauf, die richtigen auszusuchen, was? Die Beine für ein Schwein von Deserteur breit zu machen, während der, mit dem sie verheiratet ist, von seinen eigenen Leuten erschossen wird!«
Die Tochter war wieder aus der Küche aufgetaucht und beobachtete Pascoe mit wachsender Verblüffung.
»Sie haben verstanden, was sie gesagt hat?« warf sie ein. »Daß das ganze wirre Zeug ein Menschenleben zurückliegt?«
»Sie haben es schon früher gehört?«
»Wort für Wort, ich kann es auswendig! Mit dieser Geschichte und einem Dutzend anderer kommt sie sechsmal täglich an, als wär alles erst gestern passiert.«
»Sie haben aber doch gesagt, Sie kennen keine Pascoes.«
»Tu ich auch nicht. Keine Lebenden. Auch sie nicht, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen. Sie war noch ein Kind, als das alles passiert ist. Sie hat das alles nur mitgekriegt, weil sie die Ohren gespitzt hat und ihre Klappe gehalten hat. Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, war ihre Tante Mary noch nicht die blütenweiße Jungfrau, die sie seither geworden ist, aber je älter sie wird, desto älter werden auch ihre Erinnerungen, und sie erinnert sich jetzt nur noch an das, was sie mitbekommen hat, als sie sechs oder sieben war.«
»Halt die Klappe, Madge!«, befahl die Alte. »Ich weiß mehr, als ich jemals verraten habe.«
»Dazu kann ich nichts sagen, Mutter, aber du verrätst mit Sicherheit mehr, als die meisten von uns wissen wollen. Sind Sie fertig, Mister? Denn dann mach ich die Tür zu und versuch, das bißchen Wärme im Haus zu halten, das Sie noch nicht rausgelassen haben.«
Pascoe ließ die ungerechte Anschuldigung unkommentiert und sagte: »Sie können aber bestätigen, daß Ihre Mutter die Wahrheit sagt, zumindest nach ihren eigenen Erinnerungen an Familienerzählungen?«
»In unserer Familie erzählte man sich die folgende Geschichte: Tantchen Marys Mann war mit der Frau seines Vetters durchgebrannt, der wegen Feigheit oder sonst was im Krieg erschossen worden war. Aber als ich ein Mädchen war, gab es hier weit und breit keinen Pascoe, und soweit ich weiß, gibt es auch jetzt hier keinen. Sie haben mit keinem Wort gesagt, daß Sie die alten Geschichten hören wollten.«
Sie zeigte ihr Mißtrauen nun ganz offen. Pascoe spürte, daß es an der Zeit war, zu gehen. Einer letzten Frage konnte er allerdings nicht widerstehen. Sie drängte sich ihm hauptsächlich wegen des Namenswirrwars in seiner eigenen Familie auf.
»Warum heißt Ihre Mutter eigentlich Mrs. Quiggins? Ich meine, müßte das nicht Ihr Mädchenname sein?«
Er hatte einen Fehler gemacht, das sah er sofort. Die Frage verriet ein Wissen, für das es keinen ersichtlichen
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