Der Wald des Vergessens
interessante Spekulation, aber nein, wir sind auf nichts gestoßen, das auf eine Grabstätte hinweisen würde.«
»Und das ist alles?«
»Abgesehen natürlich von den Knochen.«
»Knochen? Ich sehe hier keine Knochen?«
»Wie befohlen, habe ich alle Knochen und organische Materie direkt an Mr. Longbottom weitergeleitet«, sagte Gentry frostig.
»War da auch ein Kiefer dabei?«
»In der Tat.«
»Dem Himmel sei Dank für kleine Gaben. Haben Sie ein Telefon?«
Er rief in der Pathologie an, bekam aber nur einen Assistenten an den Apparat, der ihm wörtlich die Nachricht zukommen lassen sollte, daß man ihm sagen würde, was es zu sagen gab, sobald es etwas zu sagen gab, und das würde wahrscheinlich eher später als früher sein, wenn die nötige Arbeit noch weiter durch unnötige Anrufe unterbrochen würde.
»Sagen Sie ihm, er kann mich auch mal«, sagte Dalziel, knallte den Hörer auf und funkelte Gentry an. Am liebsten hätte er seinen Abgang mit einer wirklich erlesenen Beschimpfung untermalt, aber er machte sich nicht die Mühe. Warum sollte er beim Rückzug auf eine Backsteinwand zielen?
Er ging in sein Büro und nahm die Gelegenheit wahr, so gut wie jeden anzubrüllen, der ihm auf seinem Weg durch das Gebäude begegnete. Viele waren es nicht, denn sein erstes Gebrüll rief eine Schockwelle hervor, die alle, die sie vernahmen, auf schnellstem Weg in Deckung gehen ließ.
Warum nur war er in so widerlicher Stimmung? fragte er sich. Ein möglicher Mordfall, der sich für seinen Geschmack zu langsam vorwärtsbewegte? Wohl kaum. Er hatte schon viele Fälle gehabt, die ihn viel mehr Nerven gekostet hatten, wo ihm Desperado Dan im Nacken gesessen hatte und alles mit Blut und Eingeweide bespritzt war! Wenn man es genau bedachte, stand, abgesehen von Wanwood, wenig Wichtiges an, wenn man von den üblichen Einbrüchen, Überfällen auf offener Straße und Körperverletzung absah.
Wo also lag das Problem?
Cap Marvell war das Problem, wie schon heute morgen. Er hatte beschlossen, nicht zum Mittagessen in ihre Wohnung zu gehen, und dann war er doch irgendwie dort gelandet und war auch auf seine Kosten gekommen, worüber er sich nicht beklagte – genau besehen, hätte er auf einem langen Wochenende in Bangkok nichts gefunden, was vergleichbar gewesen wäre –, aber er war auch, ohne daß er es wollte und gegen alle seine Absicht und obwohl er nach wie vor kein Wort über ihren Whisky verloren hatte, tiefer in die Sache hineingerutscht.
Gewissermaßen war die verdammte Walker dafür verantwortlich. Es wäre nämlich interessant gewesen zu wissen, ob sein lustvolles Nachglühen ohne ihr Dazwischenfunken ein weiteres vegetarisches Mittagessen überstanden hätte. Statt dessen war er im Krankenhaus gelandet und hatte sich herumkommandieren lassen müssen, als wäre er ein … was? Ehemann? Wohl kaum. Lustknabe? … Herr im Himmel! … Partner? … So hießen die doch heutzutage, oder? … Klang nach Steuerkniff einer dubiosen Firma … Wie wär’s mit … Freund?
Daran war doch nichts auszusetzen? Oder? Freunde braucht der Mensch. Wozu machte er überhaupt das ganze Theater? Zwei reife Menschen, sie war fast so alt wie er, die beide wußten, worum es ging, da war es nicht nötig, rumzuhängen wie ein Junge, dessen Eier gerade mal in den Sack gerutscht waren.
Er merkte, daß ihn nun Gewissensbisse wegen seiner Hartherzigkeit gegenüber Wendy Walker plagten. Wo zum Teufel kamen denn nur diese ganzen Schuldgefühle her? Wenn ich so weitermache, küsse ich bald dem Papst den Ring, sagte er sich.
Es schien einfacher, nicht weiter Salz in die Wunde zu streuen, sondern den Hörer aufzunehmen und das Krankenhaus anzurufen, um zu erfahren, wie es um Wendy stand.
Sie sei noch immer nicht bei Bewußtsein, sagte man ihm. Prognose unverändert, mit dem Zusatz, je länger, je schlimmer. Als nächstes sprach er mit Dennis Seymour, der ihm auch wenig zu berichten hatte, abgesehen davon, daß man auf Ludd Lane keine Bremsspuren entdeckt hatte. Das legte die Vermutung nahe, daß derjenige, der Wendy Walker angefahren hatte, überhaupt nicht reagiert hatte.
»Es könnte sein, daß er so besoffen war, daß er es noch nicht einmal gemerkt hat«, sagte Seymour.
»Dadurch wird es besser, ja?« fauchte Dalziel. »Halt mich auf dem laufenden.«
Eine Stunde später kam Troll Longbottoms vorläufiger Bericht über die Wanwood-Knochen aus dem Faxgerät.
Mit Hilfe von Dr. Tods Filter hatte er ein fast vollständiges Skelett
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