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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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Wetter: Hat es gefroren, wird es regnen, ist es stürmisch? Zurück im Forsthaus gibt es ein kleines Müsli zum Frühstück, dann nehme ich meine Kaffeetasse und setze mich ins Büro.
    Es ist 7:00 Uhr. Am Computer schaue ich den Terminkalender durch und bereite den Arbeitstag vor. Diesen Vormittag habe ich keine festen Termine, prima, dann kann ich in Ruhe die nächste Holzernte vorbereiten. Zuerst wird aber der Stapel an Papier noch einmal durchgesehen: Ist eine Rechnung dabei, die angewiesen werden muss? Gibt es eine Anfrage zu beantworten?
    Um 7:30 Uhr steht meine Praktikantin vor der Tür und wir fahren mit meinem Geländewagen in den Wald. Ein Fichtenbestand steht zur Durchforstung an und jetzt kommt das Auszeichnen an die Reihe. Dabei markiere ich alle Bäume, die von den Waldarbeitern gefällt werden sollen. Dazu muss ich erst jeden Baum genau prüfen. Krumme, faule oder anderweitig fehlerhafte Exemplare erhalten ein gelbes Papierband um den Stamm und müssen weichen. Pro Stunde kann ich rund 500 Bäume taxieren, aber nach zwei Stunden lässt die Konzentration so nach, dass ich aufhöre. An meiner Seite läuft die Studentin und lauscht meinen Erklärungen. Ich frage sie immer wieder, welche Stämme sie entnehmen würde, denn in einigen Tagen soll sie selbstständig eine Abteilung für den Holzeinschlag vorbereiten. Wir kämpfen uns durchs Unterholz zum Auto zurück und fahren in eine andere Abteilung, in der gerade Bäume gefällt werden. Motorsägenge brumm und eine Geruchsmischung von verbranntem Zweitaktgemisch und harzigen Sägespänen sind die typischen Sinneswahrnehmungen, die zu einer Durchforstung gehören. Die Maschinen verstummen, als uns die Waldarbeiter heranstapfen sehen. Die Leute gehören zu einer Selbstwerberfirma, die das Holz in stehendem, lebendem Zustand kauft. Das ist praktisch, denn so habe ich mit dem Verkauf, aber auch mit der Lohnbuchhaltung nicht viel zu tun. Dennoch achte ich auf Arbeitssicherheit und die Einhaltung unserer Ökostandards. Jeder Arbeiter wird per Handschlag begrüßt. Zum einen gebietet das die Höflichkeit, zum anderen hat dann jeder registriert, dass ich heute kontrolliert habe. Weil alles in Ordnung ist, gehen die Praktikantin und ich wieder zum Auto. Schon wieder fahren? Ja, ein Förster verbringt heute ungefähr eine Stunde pro Tag im Pkw, weil die Reviergrößen im Gegensatz zu früher um ein Mehrfaches gewachsen sind. Es sind zwar pro Tag nur rund 50 Kilometer, aber davon werden etliche im zweiten Gang zurückgelegt. Denn die Waldwege sind aufgrund von Geldmangel in einem schlechten Zustand und vielfach nur eine Aneinanderreihung von Schlaglöchern. Da kommt man manchmal nur im Schritttempo voran.
    Wir fahren also weiter. Es ist mittlerweile 11:00 Uhr, als wir beim Holzrücker Norbert eintreffen. Er zieht mit seinem Pferd, einem schweren Kaltblüter, Stammteile zum nächsten Maschinenweg. Leider weiß ich nie genau, wann er hier in Hümmel arbeitet. Er wird zwar von der Selbstwerberfirma beauftragt, der wir dieses Prozedere vorgeschrieben haben. Wann er aber seine Arbeit verrichtet, spricht er höchstens mit deren Firmenchef ab. Für mich ist es ein Roulettespiel, ob ich den Pferderücker antreffe, und daher schaue ich einfach jeden Tag nach ihm. Nun könnte man einwenden, es sei doch viel angenehmer, eigene Leute einzustellen. Das stimmt, aber leider haben wir nicht genug Arbeit, um Mensch und Tier ein ganzes Jahr hindurch zu beschäftigen.
    Heute ist Norbert also da, was mich freut. Es ist immer wieder schön zu sehen, wie schonend diese Art der Arbeit für den Wald ist. Norbert hat eine eigene Sprache für das Pferd, in der Schnalz- und Klicklaute vorkommen. Sein Tier weiß das genau zu deuten und legt sich mächtig ins Zeug, um nach rechts einem Schössling auszuweichen und das Holz punktgenau auf den Waldweg zu bringen. Die Ruhe, uns dieses Schauspiel lange anzusehen, haben wir nicht. Denn im Büro, zu dem wir jetzt zurückfahren, wartet weitere Arbeit. Zuerst müssen die Berechnungen der Praktikantin durchgesehen werden. Sie hat einmal kalkuliert, wie sich verschiedene Durchforstungsvarianten finanziell für den Betrieb auswirken würden. Nachdem die Aufgabe besprochen ist, gibt es eine neue für den nächsten Tag und die Studentin ist fürs Erste entlassen.
    12:00 Uhr: Mittagspause. Meine Frau und ich schmieren uns Butterbrote, kochen Kaffee und setzen uns ins Kaminzimmer. Das Feuer prasselt im Ofen, wohlige Wärme breitet sich in mir aus. Wir sprechen,

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