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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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Anfangsjahren ebenfalls solche Geräte eingesetzt habe. Endlich wurde die Forstwirtschaft modern.
    Wenn ich mir allerdings nach einer Durchforstung die Fahrspuren ansah, kamen mir doch Bedenken. Bis zu einem halben Meter tief hatten sie sich ins Erdreich gefressen. Nicht überall, denn die Befahrung durfte nur auf sogenannten Rückegassen stattfinden. Solche Linien zum Abtransport des Holzes, den man Rücken nennt, durchziehen die meisten Wälder im Abstand von 20 Metern und führen zum nächsten befestigten Waldweg. Dieser Abstand orientiert sich nicht an ökologischen Kriterien, sondern an der Greifarmlänge der Maschinen. Mit zehn Metern ausfahrbarer Länge reichen sie so von der Gasse aus an jeden Baum heran. Technisch wäre damit alles in Ordnung. Das Ökosystem Boden wäre da allerdings sicher ganz anderer Meinung. Denn die Kolosse, die mittlerweile bis zu 50 Tonnen wiegen, zerquetschen ihn regelrecht. Diese Verdichtungen erstrecken sich noch 1,50 Meter nach links und rechts über die Fahrspur hinaus, sodass das Erdreich insgesamt auf einer Breite von acht Metern zerstört wird. Im Gegensatz zum Viehpflug geht diese Veränderung deutlich tiefer. Der Motor wirkt zusammen mit dem Fahrzeuggewicht wie eine Rüttelwalze und lässt die Bodenporen bis in zwei Meter Tiefe zusammenbrechen.
    Rein rechnerisch kommt man unter Berücksichtigung der gesamten Schäden auf rund 50 Prozent dauerhaft zerstörten Boden – pro Einsatz! Die geschädigte Fläche ist schnell aufsummiert: Bei dem üblichen vorgeschriebenen Gassenabstand von 20 Metern kommen schon 40 Prozent zusammen. Denn obwohl der Boden nur auf einer Breite von drei bis fünf Metern direkt befahren und verdichtet wird, ziehen sich die Schäden noch mindestens je 1,5 Meter nach beiden Seiten über die Fahrspur hinaus. Die restlichen zehn Prozent resultieren aus Überschneidungs effekten, denn nicht immer lassen sich Gassen schnurgerade anlegen, lässt sich der Abstand penibel einhalten. In der Praxis beträgt der tatsächliche Durchschnittsabstand daher eher 15 Meter – und schon ist der halbe Boden betroffen.
    Passt diese grobe Behandlung des Walds noch zum Bild des Försters als fürsorglichem Baumhüter? Viele Kollegen reden sich damit heraus, dass die neuesten Modelle Breitreifen haben und kaum noch Spuren hinterlassen. Das mag stimmen, doch die Rüttelwirkung und damit die Tiefenschäden treten auch bei ihnen auf.
    Weiter wird argumentiert, dass sich das Erdreich schon nach wenigen Jahren wieder annähernd erholt hätte. Das stimmt so nicht, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Ich habe in meinem Revier zwischen alten Bäumen Fahrspuren aus der Römerzeit gefunden, die von Pferdewagen stammen. 2 000 Jahre haben nicht gereicht, die Schäden wieder zu beheben – der Boden darunter ist betonhart. Wenn schon harmlose Fuhrwerke so etwas anrichten, wie lang mag dann eine Harvesterspur und der von ihr verursachte Schaden erhalten bleiben?
    Ich zog die Konsequenz und schlug dem Gemeinderat vor, die maschinelle Holzernte in Hümmel zu verbieten. Nach Besichtigung einer entsprechenden Einsatzfläche waren die Ratsmit glieder schnell überzeugt, und so wurden die Ungetüme aus unse rem Wald verbannt. Fortan arbeiteten Waldarbeiter die Stämme auf, die anschließend von Pferden zu den Rückegassen gezogen wurden. Diese konnten durch das altmodische Verfahren auf den doppelten Abstand gelegt werden, wodurch sich die Bodenschäden halbierten. Auf diesen Linien sammelten dann Maschinen die Hölzer ein und brachten sie zum nächsten Waldweg.
    Nun könnten Sie einwenden, dass die Pferde das Holz doch gleich bis zu den befestigten Waldwegen hinausziehen könnten. Für den Boden wäre das sicher besser, aber auch dieser Kompromiss war schon exotisch genug. Denn zum Zeitpunkt der Umstel lung war ich noch staatlicher Beamter, und mein Vorgesetzter fand die Entscheidungen in Hümmel gar nicht in Ordnung. Alle anderen Kollegen setzten die bei uns in Ungnade gefallene Technik zunehmend ein und da konnten kritische Töne nur stören. Das Hauptargument für den Harvester war das enorme Einspar potenzial bei den Kosten, denn sie arbeiten im Vergleich zu Waldarbeitern pro Kubikmeter Holz für den halben Preis. So konnte die Rentabilität der Forstbetriebe vieler Waldbesitzer erhöht werden – zumindest kurzfristig.
    Langfristig, auf Jahrzehnte gesehen, sieht die Bilanz ganz anders aus. Denn das Baumwachstum, die Holznutzungsmöglichkeiten und damit die Rendite hängen stark vom Wasser

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