Der Wald - ein Nachruf
Kronendach, durch die das Sonnenlicht ungehindert zu Boden fällt und alles zum Wachsen bringt.
Ein Urwald ist Natur, ein bearbeiteter Wald hingegen nicht. In diesem Sinn gibt es in Mitteleuropa leider keine echte Natur mehr, mit Ausnahme vielleicht des kleinen österreichischen Urwalds am Dürrenstein. Jedes Fleckchen haben wir Menschen umgestaltet und aus einstigen Wäldern wurden Plantagen. Die geschichtlichen Hintergründe hierfür habe ich schon erklärt, die Folgen noch nicht. Dazu würde ich gern mit Ihnen dem Keller des Walds einen Besuch abstatten: dem Boden.
Geschädigte Böden
Von Natur aus war jeder trockene Quadratmeter Mitteleuropas mit Ausnahme von Steilhängen und den Hochlagen der Alpen Urwaldboden. Überall standen einmal Baumriesen, und das Erdreich, in das sie ihre Wurzeln gegraben hatten, glich einem lockeren Schwamm. Luftkanäle versorgten auch die tiefer lebenden Bewohner mit Sauerstoff und eine Vielzahl kleinster Arten ernährte sich von Blättern, Holz und Rinde, um anschließend Humus zu hinterlassen. Dieses Erde-Humus-Gemisch speicherte viel Wasser. So konnte jeder Quadratmeter Wald bis zu 200 Liter festhalten und bei trockener Witterung dosiert wieder abgeben. Das war enorm wichtig, denn im Sommer kann ein Wald mehr Wasser verbrauchen, als durch den Regen zur Verfügung gestellt wird. Getankt wird im Winter, wenn die Vegetation kaum etwas davon verbraucht. Dann saugt sich die Erde voll und alles, was die Speicherfähigkeit übersteigt, versickert ins Grundwasser. Die Buchen und Eichen litten so keinen Durst und die Quellen des Waldes sprudelten munter vor sich hin.
Wie groß die Artenvielfalt dieses Ökosystems Waldboden sein kann, mag eine Gruppe von Tieren verdeutlichen, und zwar die Hornmilben. Manche Arten leben in kleinen Röhren und ernähren sich von Pilzsäften, andere wiederum von Pflanzenteilen. Sie sind äußerst wichtig für die ökologischen Kreisläufe, stehen am Anfang der Nahrungskette und zersetzen totes organisches Gewebe. Viel mehr weiß man nicht, nur eines steht fest: Es gibt mehr Hornmilben- als Vogelarten in Mitteleuropa! Noch längst sind nicht alle Spezies entdeckt, und wenn Sie sich mit einer Lupe bewaffnet in den Wald aufmachen, können Sie möglicherweise noch neue Arten aufspüren. Sie müssen allerdings sehr genau hinschauen, denn in einer Handvoll Walderde wimmeln mehr Lebewesen, als es Menschen auf unserem Planeten gibt.
Die sogenannten Hotspots der Biodiversität finden sich demnach nicht nur am Amazonas, sondern auch vor unserer Haustür. Oder fanden sich dort, denn wir haben mit unserer Land- und Forstwirtschaft dafür gesorgt, dass dieses Paradies größtenteils vernichtet wurde.
Wenn Urwälder verschwinden, verändern sich auch die positiven Bodeneigenschaften. Werden die alten Buchen gefällt, so verlieren beispielsweise die Hornmilben ihren Sonnenschirm. Das Kleinklima ändert sich, und das bekommt diesen winzigen Tierchen gar nicht. Jeder Regenguss klatscht nun ungebremst auf den Humus, jeder Frost kann hart zubeißen und jeder heiße Sommertag die Erde verbrennen. Schlimmer ist jedoch der Nahrungsentzug, denn ohne Blätter, Wurzeln und Pilze der gewohnten Arten haben die Milben nichts mehr zu fressen. Sie verschwinden an diesem Standort. Und genau das ist fast überall mit unserer Landschaft passiert: Jeder Acker, jede Wiese, jede Fichtenschonung oder auch jedes Baugebiet war einst Urwald. Ob in grauer Vorzeit oder im 20. Jahrhundert, irgendwann hat eine Rodung stattgefunden und einen Großteil der Knilche damit ausgelöscht. Und sie stehen stellvertretend für die Tausenden von Arten, die einst im Dunkel unter den Bäumen gelebt haben.
Für den Boden begann jetzt erst das eigentliche Drama, denn die Bäume wurden abgeholzt, um Platz für etwas Neues zu schaf fen. Auf den meisten Flächen wurde anschließend Landwirtschaft betrieben und das bedeutete entweder Ackerbau oder Viehweide. Zwar wiegen beispielsweise Schafe nicht sehr viel, sie trampeln aber die obere Erdschicht nachhaltig platt. Ich erinnere mich an eine Exkursion während meines Studiums, bei der wir eine solche Fläche besichtigten. Der Boden war für uns Studenten aufgegraben worden, sodass wir die verschiedenen Schichten sehen konn ten. Dabei zeichnete sich ganz deutlich eine verdichtete Zone ab, durch die kaum Sauerstoff dringen konnte. Unser Professor erklärte uns zur allgemeinen Verblüffung, dass die Beweidung schon 300 Jahre zurückgelegen hat.
Später konnte ich auch in
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